Bekenntnisse

Matthias Claudius
und der deutsche Michel vor der Glotze

Nr. 637 – vom 22. Januar 2015
Auch wenn er es nicht mehr hören kann: Ich muss mich zunächst bei Matthias Claudius posthum entschuldigen, wenn ich ihn hier parodistisch missbrauche. Hat er doch mit seinem anrührend schlichten „Abendlied“, von Johann Abraham Peter Schulz vertont, eines der innigsten deutschen Volkslieder geschrieben, dem auch kein öffentlich-rechtliches Mutantenstadl etwas anhaben konnte, weil man dazu nicht schunkeln kann. Nun ist der Dichter schon 200 Jahre tot. Er kann sich also nicht wehren, wenn sich Satiriker über seinen Text hermachen. Unvergessen: Die Interpretation von Dieter Hildebrandt im Stil von Helmut Kohl – zu besichtigen unter http://youtu.be/dnqKwGetjz4.

In meinem letzten Buch „Geh!Denken – Geh!Dichte“ habe ich dieses Abendlied zu einem Gute-Nacht-Lied für den deutschen Michel umgetextet. Matthias Claudius, verzeih!

Die Mattscheibe ist angegangen.
Da sieht man Michel hangen
vorm Bildschirm stumpf und starr.
Er hocket brav und schweiget,
und in die Birne steiget
ein dumpfer Nebel sonderbar.

Wie wird das Hirn so knülle
wie eine leere Hülle,
die ihr vollmüllen sollt
in stiller Fernsehkammer,
wo ihr des Tages Jammer
verglotzen und wegzappen wollt.

Seht Ihr dies Volk dort kleben.
Es wird sich nur erheben,
wenn voll die Blase ist.
In traulicher Umgebung
kommt’s zu ’ner Volkserhebung,
bevor das Volk sich dann verpisst.

So legt, ihr deutschen Brüder
euch in die Sessel nieder.
Lau blähet sich der Bauch.
Dass die bematschte Scheibe
uns stets erhalten bleibe
und unserm kranken Nachbarn auch.

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Mal sehen: Vielleicht singe ich das am nächsten Sonnabend auch mal wieder auf der Bühne, wenn ich bei den „Wühlmäusen“ mein übliches Unwesen treibe.