Bekenntnisse

Buchholzens
Weihnachtsgeschichte

Nr. 664 – vom 16. Dezember 2015

Sehet, ich verkündige Euch großes Grausen, das allem Volke widerfahren wird, denn wie alle Jahre ist die Au-Weihnacht an- und ausgebrochen. In allen Kaufhäusern, Supermärkten und an allen sonstigen Konsum-Krippen ist man der brutalsten Akustik-Folter ausgesetzt, die einem die Gehörgange zuckerwattig verkleistert. Ich winsele um Gnade! I’m screaming for a quiet christmas! Bing Crosby soll seinen Albtraum vom Schnee-Chaos gefälligst allein für sich in seiner Gruft beschnulzen. Kein vorpubertärer Domspatzenchor soll mir länger aus allen Lautsprechern die stille Nacht vollplärren. Ich will keine vom Chor-Geist gemeldete Fahndungsmeldung nach einer entsprungenen Ros mehr hören. Keine O-du-Quälige mehr! Keine Morgen-Kinder-wird’s-was-geben-Androhung! Keine leise Schneeberieselung! Keine Jinglebellerei und kein Klingelingeling mehr als ständiger vorweihnachtlicher Tinitus!

Und wann endlich setzt sich eine der vielen öko-bewegten Bürger-Initiativen für eine adventliche Stromsperre ein? Wie viel Energie könnte gespart werden, wenn nicht jeder kahle Straßenbaum lichterbekettet und wenn nicht jeder Hauptbahnhof und nicht jeder sogenannte Boulevard mit grandios illuminiertem Kitsch-as-Kitsch-can herumflackern würde. Kein einziger unnötiger Stern hat zu strahlen vor Heiligabend! Ich will kein luftschifferndes, rednosiges Rentier mehr sehen als leuchtend animierte stromfressende Lichtgestalt – und auch kein einziges nachtbehemdetes Weihnachtsgeflügel.

Und macht endlich dem Waldsterben ein Ende! Macht Schluss mit der gnadenlosen Abholzerei von Nadelgehölzen, die spätestens im Januar entnadelt und lammetta-beschmaddert in der Gosse landen! Und macht Schluss mit punsch-verpanschten Weihnachtsmärkten, damit die adventliche Menschheit befreit werde von der Sucht nach promille-schweren Glühwein-Orgien! Lasst die Alkoholiker punschlos unglücklich werden!

Und reißt jedem Weihnachtsmann die bärtige Maske gnadenlos von der konsumterroristischen Visage! Ich habe schon lange den Verdacht, dass es sich bei diesen zipfelmützigen, rotberockten Transvestiten um eine Geheimorganisation von Päderasten handelt, die ständig hinter irgendwelchen holden Knaben im lockigen Haar her sind. Ich misstraue diesen santaclausigen Kinder-Liebhabern, die zum Fest der Liebe – Ho-ho-ho! – permanent ihre Klein-Klientel auf den Schoß nehmen und dabei liebevoll mit ihrer Rute fuchteln? Selbst wenn sie das leidenschaftslos tun ohne nachhaltige Versteifung – dann gilt immer noch der Anfangsverdacht einer terroristischen Vereinigung. Könnte sich nicht hinter jeder rotbemäntelten, vollbauchigen Kostümierung ein Sprengstoffgürtel verbergen? Wann wird endlich das Vermummungsverbot auch bei diesen weihnachtlichen Dauer-Demonstrationen durchgesetzt? Und müsste nicht der Innenminister die deutsche Bevölkerung ausdrücklich davor warnen, solche verdächtigen Figuren am Heiligabend auf keinen Fall in ihre Wohnungen einzulassen?

Für den Horror in der guten Weihnachtsstube ist doch ohnehin schon gesorgt, wenn da die halbe Sippschaft anrückt nebst Tante Frieda und Opa August. Eine scheinheilige Zusammenrottung der schlimmsten familiären Weihnachts-Triebtäter. Nicht umsonst sprach schon Karl Kraus von Familienbanden.

Doch wenn auch dieses Grausen überstanden ist und die Streitmacht der Mischpoche schließlich schwer umsäuselt das Feld geräumt hat, dann endlich könnte so etwas wie Weihnachtsfrieden einziehen in die heimischen Gefilde. Und wenn wir dann in pyromanischer Besinnlichkeit ins Kerzengeflacker schauen, dann lasst uns hoffen, dass nicht ein paar Häuser weiter wieder ein Asylheim in Flammen steht. Vielleicht erinnert sich dann der eine oder die andere daran, weshalb wir eigentlich Weihnachten feiern. Es geht ja um ein Flüchtlingskind aus dem Nahen Osten, das an diesem Tag Geburtstag feiert. Und vielleicht sollten wir ihm wenigstens an diesem Abend für ein paar Stunden bei uns Asyl gewähren.

Na dann: Stille Nacht allerseits!

 

PS. Dieser Text, mit dem ich mich für dieses Jahr verabschiede aus der Kolumnen-Fron, ist leicht verändert in meinem satirischen Lexikon „Missverstehen Sie mich richtig“ entnommen. Ein Buch, das Sie sich echt schenken können. Und das hat durchaus einen Vorteil: Wenn Sie dieses Machwerk in ihrer Verwandtschaft verschenken, sind Sie die bestimmt für zwei Jahre los. Signierte Exemplare gibt’s unter http://www.martin-buchholz.de/buecher_cd_dvd.php. Und weiterhin gilt das Angebot: Beim Kauf dieses Buches (20 €) bekommen Sie frühere Bücher und/oder die DVD zum halben Preis von 10 € dazu.

 

Noch ein PS. Die Weihnachtszeit ist ja für mich heftige Arbeitszeit, wo ich mächtig in den Mäusen wühle – bei den „Wühlmäusen“ in Berlin. Am 4. Adventssonntag um 16 Uhr. Und vom 1. Weihnachtsfeiertag bis zum 30.12. um 20 Uhr. Karten unter: https://www.wuehlmaeuse.de/#spielplan/details/5924 – oder telefonisch: (030) 30 67 30 11.