
Satire-Letter Nr. 735 vom 20. Februar 2025
ICH, DER WÄHLER,
HABE ENTSCHIEDEN!
I.
Nun haben wir also am Sonntag mal wieder die Wahl. Sie ist qualvoll genug. Die eigentliche merzvolle Qual beginnt aber erst danach. Eines steht jetzt schon fest: Die angeblich neuen Bundesländer werden in fast allen Wahlbezirken mal wieder sehr alt aussehen – genauer: alt-deutsch im braunen Look mit blauem Anstrich. Deutschland, mehr denn je zweigeteilt – vorerst noch ohne Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze.
Doch möglicherweise gibt es auch Erfreulicheres am Sonntag zu vermelden: Zum Beispiel, dass sich die FDP endgültig an einer Schuldenbremse von etwa vier Prozent ausgebremst haben könnte. Und vielleicht hat sich auch die kurzfristige Wangenknechtschaft erledigt, nachdem sich der Friedensstifter Trump in Sachen Ukraine endlich Sarah’s Einsichten über das Verursacher-Prinzip des Krieges zu eigen gemacht hat. Hat doch Frau Wagenknecht immer wieder angedeutet, dass Russland mehr oder weniger zum Krieg gezwungen worden ist, weil der Westen, lies: die USA, Russland eingekreist habe. Und nun kommt offenbar ein amerikanischer Präsident plötzlich zu derselben Ansicht, nämlich, dass die Ukraine selber schuld sei, weil es sich zu sehr den USA angenähert habe. Oder habe ich da mal wieder irgendetwas missverstanden?
II.
Ich bin ja ein Fan von Wahlumfragen. Deshalb habe ich mal selbst eine veranstaltet. Eine demoskopische Erhebung in meinem allernächsten Bekannten- und Freundeskreis kam zu folgendem Ergebnis: Acht Stimmen für die Links-Partei, vier für die Grünen, zwei für die SPD. Um keine Irrtümer aufkommen zu lassen: Bei meiner nicht repräsentativen Wahlumfrage handelte es sich nicht um eine Jugendwahl von Unter-18-jährigen, sondern mehr um eine Gruppe aus dem späten Mittelalter, also zwischen 65 und 80 Jahren. Da ich mich bei dieser Umfrage selber einbezogen habe, war sogar einer über 80 dabei.
Inzwischen sind meine Kreuze per Briefwahl im Postkasten versenkt. Möglicherweise wollen Sie jetzt wissen, wo ich denn diese Kreuze gemacht habe. Okay, ausnahmsweise will ich mein Wahlgeheimnis brechen: Also, die SPD habe ich nicht gewählt. Und das, obwohl ich seit meinen frühesten Wählertagen von der SPD darauf konditioniert worden bin, immer das kleinere Übel zu wählen. Doch in diese Rolle des kleineren Übels haben sich schon seit einigen Jahren die Grünen hineingedrängelt.
Eine Partei, die einst in einem Bundestagswahlkampf einen Veggie-Day gefordert hatte, also eine Abstinenz, auf dass man zumindest einmal in der Woche dem Fleische entsagen sollte. Nur leider haben sich die Grünen in der Regierung nie daran gehalten. Sie ernährten sich fast ausschließlich von Tierfleisch und schluckten eine Kröte nach der anderen, wenn auch widerwillig. Wenn der Froschkönig Lindner nur laut genug quaaakte, zeigten die Grünen eine seltsam märchenhafte Neigung zum amphibischen Oralverkehr.
Und so sehr ich Robert Habeck als ehrlichen, auch selbstkritischen Kerl schätze (als Bundeskanzler würde ich ihn sofort wählen)… ich denke, den Grünen sei endlich mal wieder eine krötenlose Zeit gegönnt, um sich in der Opposition darauf zu besinnen, wie Umweltschutz wirklich funktionieren könnte ohne ständig auf Krötenwanderung zu sein.
III.
Also habe ich diesmal die Linke gewählt mit geringeren Bauchschmerzen als ich das früher schon mal getan habe. Warum? Weil den Linken glücklicherweise ein Teil ihrer früheren Basis abhanden gekommen ist. All jene, die einem diese Partei oft unerträglich machten, sind plötzlich verschwunden: Zehntausende der einstigen Ost-Klientel mit grundsätzlich fremdenfeindlichen Ressentiments sind zur AfD immigriert (etliche westliche Wähler inklusive). Andere sind im letzten Jahr zu dem personenkultigen Bündnis übergewechselt, das Sahra Wagenknecht mit sich selbst geschlossen hat.
Die Folgen waren zunächst katastrophal. Nach den östlichen Landtagswahlen im Herbst sah es so aus, als würden die Linken bei der Bundestagswahl endgültig in der Wahlurne versenkt werden. Doch anstelle der politisch dumpf-dogmatischen Zausel und Zauselinnen, die sich als Mitglieder und Wähler von der Linken verabschiedet hatten, rückten nun plötzlich viele Tausende von meist jungen und überwiegend weiblichen Menschen nach, oft auch als neue Mitglieder. Eine Art Katharsis, eine „Reinigung“. So bezeichnete man in der Poetik des antiken griechischen Theaters eine solche dramatische Entwicklung. Wikipedia erklärt: „Durch das Durchleben von Jammer/Rührung und Schrecken/Schauder“ kommt es zum Schluss der Tragödie zu einem Zustand der „Läuterung“, der einen hoffnungsvollen Neuanfang möglich macht.
Okay, mal sehen, ob meine lasterhaft lästernde Wählerstimme zu einer wirklichen Läuterung ausreicht.
IV.
Ich hoffe, Sie nehmen diese private Wahlverlautbarung nicht als den Versuch einer Wahlbeeinflussung wahr. Nichts liegt mir ferner, als Sie zu influenzieren. Ich fühle mich vollkommen ungeeignet als Influencer. Einerseits ist das für mich schade, denn als Influencer würde ich mit dieser Kolumne auch ein bisschen Geld mit eingeschalteten Werbeanzeigen verdienen. Andererseits fürchte ich bei meiner Leserschaft eine gewisse Influenz-Immunität, also dass ich es mit Leserinnen und Lesern zu tun habe, die auf den Versuch einer Fremdbeeinflussung eher allergisch reagieren.
Ähnlich geht es mir auch. Allerdings muss ich zugeben, dass ich gegen eine solche Fremdbeeinflussung nicht in jedem Fall gefeit bin. Zum Beispiel lag ich mal nach einer Magenoperation im Krankenhaus und litt danach an einer schweren Verstopfung meiner Gedärme. Da nahm dann eine Schwester Angelika Einfluss auf mich – und zwar hinterrücks durch meinen After mit einer Sonde. Dieser Einfluss führte zu einem Ausfluss, der für mich sehr erleichternd war. Ich war Schwester Angelika hinterher für ihre Einflussnahme dankbar, und zwar von Herzen, von meinem Darm ganz zu schweigen. Ich hätte sie glatt zur Influencerin of the Year gewählt.“
Aber da ich nicht die Absicht habe, mich an anderer Leute Darm heran zu machen, werde ich auch fürderhin auf jede Einflussnahme verzichten.
Es grüßt Sie gänzlich einflusslos, dafür aber herzlich und hirnlich
Ihr Martin Buchholz
Auftritte 2025
Am 6. und 12. April 2025 „Wühlmäuse“ Berlin (auch am 4./18./19./26. Oktober)
Kartenbestellungen für Sonntag, den 6. April 2025, unter:
https://wuehlmaeuse.de/veranstaltung/martin-buchholz-gestammelte-werke/ticket/41357/
Kartenbestellungen für Sonnabend, den 12. April 2025, unter:
https://wuehlmaeuse.de/veranstaltung/martin-buchholz-gestammelte-werke/ticket/41366/
Am Freitag, 26. September, und Sonnabend, 27. September, Hannover,
TAK ("Theater am Küchengarten") Ticket-Telefon 0511/132-29041
Sonnabend, 11. Oktober, Frankfurt a. M., KÄS, Tel. 069 902839 86
Kartenbestellungen auch unter diesem Link:
https://diekaes.reservix.de/p/reservix/group/