Das Wulffchen und ich
Nr. 526 – vom 6. Januar 2012
Mir sitzt der Schock noch tief in allen Hirnzellen. Gestern früh habe ich meine Mailbox abgehört. Seit ein paar Tagen habe ich da eine neue Ansage: „Herr Bundespräsident, sprechen Sie bitte nach dem Pfeifton.“ Und plötzlich hörte ich ihn tatsächlich. Ihn, den einsamen Ladenhüter im angstvoll verrammelten Schloß Bellevue. Genauer: Es. Das Staatsoberhaupt, das wir uns auf Kredit leisten. Unser oberstes Absahne-Häuptchen. Das Wulffchen.
Lange habe ich gezögert, ob ich die Mitschrift dieses Anrufs veröffentlichen soll. Ich tue es hiermit wider besseres Gewissen, denn: „Es gibt Menschenrechte selbst für Bundespräsidenten“, so seine Selbstauskunft im Staatsfernsehen. Hier also lesen Sie die Aufnahme unseres Vorkämpfers für Recht und Eigennutz, der zugleich ein Mailboxer ist für die Erpressefreiheit:
„Hier spricht der Bundespräsident“, tönte es mir entgegen. „Ich habe aus zuverlässigen Quellen erfahren, daß Sie in Ihrer Kolumne neue Gemeinheiten gegen mich verbreiten wollen. Davor kann ich Sie nur dringend warnen. Der Rubikon ist jetzt übervoll und der Rand, den ich nicht halten kann, überschritten. Wenn Sie diese Veröffentlichung nicht stoppen, herrscht Krieg zwischen uns bis kein Klinkerstein mehr auf dem anderen steht. Äh... was ich noch sagen wollte... ach ja, vorsichtshalber möchte ich mich schon einmal für diese Drohung entschuldigen mit allem Respekt vor meiner Meinungsfreiheit. Man ist eben Mensch und macht auch Fehler.“
So oder zumindest so ähnlich hörten sich wohl auch jene Machtworte an, die das Wulffchen seinem früheren PR-Agenten Kai Diekmann von der „Bild“-Zeitung aufs laufende Band geflüstert hat. Nur hatte der niedersächsische Provinz-Parvenü in typischer Selbstüberschätzung vergessen, wer der eigentliche Machthaber von beiden ist. Zu spät wurde ihm klar: Wen „Bild“ zum Emporkömmling macht nach dem Motto: BILD Dir Deinen Präsidenten, – den kann „Bild“ auch zum Niederkömmling machen. Und einen so heruntergekommenen Präsidenten, der öffentlich um Gnade winseln muß, hat wohl keine Republik je gesehen.
In seiner telegähnen Wimmerarie behauptete das niedergemachte Wulffchen, daß er die „Bild“-Veröffentlichung nicht verhindern, sondern nur um einen Tag verschieben wollte. „Bild“ widersprach sofort und wollte den Wortlaut des Anrufs veröffentlichen, was der präsidiale Callboy verhinderte. Das stürzt mich als jahrzehntelangen Anti-Springer-Kampagnon in einen schweren Identitätskonflikt: Zum ersten Mal ertappe ich mich dabei, daß ich der „Bild“-Zeitung glaube.
So gerät plötzlich mein ganzes Wertesystem, das mir eine Orientierung gab, ins Wanken. Nun ist mein Wertesystem nicht jedermanns Sache und auch nicht jederfraus, wenn ich an unsere Kanzlerin denke. Hatte sie doch dereinst ihr Kandidaten-Bübchen so annonciert: „Christian Wulff repräsentiert ein Wertesystem, das für uns alle Orientierung gibt.“
Fürwahr! Ein Wertesystem, wie es in Großburg-Wedel zu Hause ist im verklinkerten Eigenheim mit akkurat frisiertem Buchsbaum im Vorgarten und einem niedersächsy tätowierten Eigenheimchen am traulichen Herd. Eine 500.000-Euro-Idylle, allen näheren und ferneren Nachbarn verkündend: „Auch-ich-habe-es-zu-was gebracht“. Die großburgwedelsche Orientierung an den immobilen Werten, die einem von Amigos zinsfreundschaftlich überlassen werden.
Was soll daran falsch sein? Kennt das nicht jeder von uns, wie schwer es ist, seinen Millionärskumpels einen kleinen Freundschaftsdienst zu verweigern? Im TV-Originalton hört sich das so an: „Wegen der Bankenkrise hat Frau Geerken es für sicherer gehalten, ihr Geld bei mir anzulegen.“ Klar, ein Ministerpräsident ist für seine Freunde immer eine sichere Bank. Ein Bundespräsident erst recht. Aber das Wulffchen möchte eigentlich gar nicht Präsident sein in einem Lande, wo sich Freundschaft nicht mehr lohnt. Anders formuliert: „Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann.“
Nein, er möchte Präsident sein in einem Lande, wo sich Freunde mit Geld jederzeit einen Präsidenten ausleihen können.