Kreuzfahrt mit Angela
durch die Hai Society
Nr. 528 – vom 20. Januar 2012
„Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise...“ Geht leider nicht, wenn das Rettungsboot schon voll ist, in das der Kapitän aus Versehen hineingefallen ist. Und es verhallt der Ruf: „Vada a borde, cazzo!“ – „Kehr an Bord zurück, verdammt noch mal.“
Tscha, nicht jeder hält es so lange auf einem sinkenden Schiff aus wie unser Bundespräsident. Sein Amt gerät immer mehr in gefährliche Schieflage, so daß nun auch sein früherer Erster PR-Offizier juristisch schwer ins Rutschen geraten ist. Dem See-Wulff steht längst das Wasser bis zum Hals, doch er verkündet unverdrossen: „Wir haben immer noch Oberwasser.“ Und da er bislang nicht abgesoffen ist, so gurgelt er wohl auch morgen noch.
In der Karikatur einer italienischen Zeitung sieht man hingegen den Riesen-Kreuzer Europa in schwerster Seenot, während die deutsche Kanzlerin im Rettungsboot panisch davonrudert. „Vada a borde, cazzo“, ruft man ihr zu. Natürlich ist das ungerecht. Zwar ist der Euro-Luxusdampfer, der uns vor zehn Jahren als Traumschiff angepriesen worden war, längst havariert, doch sitzt die Kanzlerin ja nicht alleine im Rettungsboot. Die meisten EU-Passagiere hocken auch mit drin, zumindest die aus der ersten Klasse. Die drittklassigen Südländer schwimmen nebenher, klammern sich verzweifelt an die letzten morschen Planken, während die Finanzhaie sie rudelweise umkreisen. Unsere Kanzlerin rudert zwar heftig, aber immer nur ein Stückchen vor und dann gleich wieder zurück – wie jüngst gerade bei der Finanztransaktions-Steuer. Der Kahn kommt nicht von der Stelle, und die Haie kommen immer näher... Tscha, so was kommt von sowas. Eben davon, daß sich unsere Kanzlerin einst allzu gutgläubig-naiv in die Hai-Society begeben hat.
+++
Apropos Kreuzfahrten. Immer wieder bekomme ich Anfragen von Wochenschauer-Abonnenten, die andeutungsweise von meinen einstigen Abenteuern auf der MS Europa gehört haben, aber die Geschichte nicht wirklich kennen. Nun, auf meiner Best-of-DVD „Ich geb’s ja zu“ (hier zu bestellen) wird auch diese maritime Schauermär ausführlich von mir in Bild und Ton dargeboten. Und als Extra-Bordservice hier noch einmal das Wort-Protokoll aus dem Jahre 2003:
+++
Die Meuterei
auf der MS Europa
Von einem großen Erlebnis, das mir widerfahren ist, will ich hier Kunde geben. Ein unverhofftes Abenteuer, das meinem Leben wieder einen Sinn gegeben hat. Eine aufwühlende, erschütternde, leidenschaftliche Affäre, wie ich sie in dieser Form nicht mehr zu erleben gehofft hatte auf meine frühantiken Tage. Neenee, keine Angst! Es folgt jetzt keine Drittfrühlings-Schilderung eines spät in den Lenden Entflammten. Dies Abenteuer war von anderer Art.
Es begann mit einer Expedition in fernes Feindesland. Jawohl, ich war an vorderster Front in Bush’s Own Country. Zu den Expeditions-Vorbereitungen gehörte zunächst einmal eine intensive Gewissens-Erforschung. Ich brauchte nämlich vom amerikanischen Präsidenten eine Arbeitserlaubnis für die USA – aus Gründen, die ich gleich noch schildern werde. George Doubleyou war verständlicherweise etwas mißtrauisch. Er schickte mir einen langen Fragebogen zu – ohne jeden persönlichen Gruß, was mich schon etwas kränkte. Dieser Fragebogen stürzte mich in einige Verlegenheit, weil der Präsident allerhand intime Sachen von mir erfahren wollte. Zum Beispiel wollte er wissen: „Planen Sie in nächster Zeit einen terroristischen Anschlag in den USA?“ Aber so weit waren meine Planungen noch gar nicht gediehen. Ich war schlicht überfragt. Außerdem war ich einer Zwickmühle: Einerseits hatte ich eigentlich keine große Lust auf weitere Anschläge, denn ich hatte mich in den vergangenen Monaten anschlagmäßig auf der Tastatur meines Computers ziemlich verausgabt – immer volle Attacke gegen Bush, Rumsfeld & Co. Andererseits will man auch nicht ungefällig sein, wenn die das unbedingt brauchen, weil ohne Terror ihr Geschäft nun mal nicht boomt.
Das erinnerte mich an selige deutsche Mauer-Zeiten, wenn man als West-Berliner vor dem Transit durch die DDR vom Grenzposten verhört wurde: „Führen Sie Waffen, Munition oder Sprengstoff mit sich?“ Einmal fragte Harriet, meine Lieblingsfrau, zurück: „Wieso? Braucht man das jetzt, wenn bei Ihnen durchfährt.“ Daraufhin wurden wir aus der Auto-Schlange heraus gewunken und zwei Stunden lang durchsucht, Körper und Karre. Zumindest in diesen zwei Stunden stand bei mir Harriets Status als Lieblingsfrau schwer in Frage. Nicht, daß ich grundsätzlich etwas gegen Satire hätte, aber es eignet sich nicht jedes Publikum dafür.
Was ich übrigens bei dieser Expedition mal wieder quasi-hautnah erfuhr. Der Anlaß für diese Reise hatte etwas zu tun mit dem Lachdienstleistungs–Gewerbe, das ich betreibe. Schon seit Jahren war eine große Reederei, die Hapag Lloyd, hinter mir her, um mich samt meiner Rederei für ein Gastspiel auf einem ihrer Luxus-Liner zu gewinnen. Und zwar DEM Luxus-Luxus-Luxus-Liner, der immer wieder als Kreuzfahrtschiff Nr. 1 in der Welt gewählt worden war. Fünf-Sterne-plus. MS Europa. Was MS bedeutet, erfuhr ich allerdings erst hinterher: Mumien-Schlepper.
Nun hielt sich mein Bedürfnis nach solcher Herum-Dampferei schon immer in ziemlich überschaubaren Grenzen. Und die dumpfe Vorahnung, daß es sich bei dem mitdampfernden Fünf-Sterne-plus-Publikum nicht gerade um einen Fan-Club in Sachen politischer Satire handeln würde, heizte meine schwer unterkühlte Begeisterung auch nicht gerade an. Zweimal sagte ich Nein, um bei der dritten Anfrage dann doch weich zu werden. Die Route entlang der amerikanischen Ost-Küste rauf nach New York schien mir das Wagnis wert zu sein. Schließlich war ich noch nie in den USA, und irgendwie wollte ich George Bush endlich menschlich etwas näher kommen, auch wenn der mir meine derzeitige terroristische Schlaffheit verübeln sollte.
Außerdem meinte Harriet: „Du bist doch Gesellschaftskritiker. Da mußt du dich auch mal in die Gesellschaft reintrauen. Und eine bessere Gesellschaft zum Kritisieren als auf so einem Schiff, findest du bestimmt nicht mehr.“ Wobei mir die Gesellschaft von Harriet, die miteingeladen war, vollkommen gereicht hätte. Und an ihr habe ich gelegentlich auch was zu kritisieren. Aber das läßt sie ja als Gesellschaftskritik nicht gelten.
Nun war mir natürlich klar, daß ich mich eigentlich auf eine Mission impossible eingelassen hatte. Aber man wächst ja mit seinen Aufgaben. Zwecks besserer Tarnung an vorderster Front empfahl sich zunächst die Anschaffung eines Kampfanzugs. Wenn man nicht sofort zerfleischt werden will auf der freien Wildbahn der Alt- und Neu-Reichen ist entsprechende Schutzkleidung unabdingbar – also Smoking plus dazugehöriger Behemdung und Beschleifung und Betuchung. Zwei alte Kumpel von mir, Peek & Cloppenburg, waren mir gegen ein geringes Entgelt bei der Beschaffung behilflich.
Doch, ach, die ganze Mimikry nutzte nichts. Meine Tarnung flog schon am ersten Abend auf, als ich mich mit einem vergleichsweise harmlosen Programm-Ausschnitt auf die Bühne wagte. Ein sanftes Nebenbei-Scherzchen über Deutsche, die auch außerhalb der Heimat braun werden können, wurde offenbar als Kriegs-Erklärung verstanden.
Springers „Welt“ berichtete zehn Tage später folgendes: „Es muß wohl ein Katastrophenplaner bei Hapag Lloyd am Werk gewesen sein, als man für die mehr als konservative Klientel der MS Europa ausgerechnet den einschlägig bekannten, ultralinken Kabarettisten Martin Buchholz aus Berlin verpflichtete. Eine Dame, die an der Kreuzfahrt teilnahm, hat uns berichtet, was während seines Auftritts geschah.“ Und jetzt kommt’s: „Die Ausführungen dieses sogenannten Satirikers waren derart geschmacklos und politisch widerlich, daß die Zuhörer immer wieder in Sprechchören riefen: Aufhören, Aufhören! Da der Kabarettist aber ungeniert mit seinen Provokationen fortfuhr, flogen plötzlich die eisernen Reservierungs-Ständer und metallenen Nichtraucher-Schilder auf die Bühne. Daß der Mann unverletzt davon kam, verdankt er dem mutigen Eingreifen eines RTL-Moderators, der den offenbar Lebensmüden in letzter Minute von der Bühne zerrte. Derartige Tumulte habe ich noch nie auf einer Kreuzfahrt erlebt.“
Diese Augenzeugin, die da für die „Welt“ als IM unterwegs war, glaube ich, identifiziert zu haben. Das war eine Bankiersgattin, die auch das erste scharfkantige Eisengeschoß Richtung Bühne gejagt hatte. Doch bald waren ihr die Wurfgeschosse ausgegangen. Ich fürchtete schon, daß ihr megakilo-wuchtiges Perlengehänge im Tiefflug folgen würde, als sich ihr schwerstgewichtiger Gatte erhob, um die Bühne im Sturmangriff zu nehmen. Mit orkan-artigem Kriegsgeschrei tat er kund, daß man sich so etwas nicht bieten lassen müsse. Und-wo-sind-wir-denn-hier? Und-was-hat-so-einer-hier-zu-suchen? Durchaus berechtigte Fragen, die ich aber auch nicht beantworten konnte.
Schwer ächzend und puterrot stand er vor mir, bis ins letzte geplatzte Äderchen hochdruckdurchblutet, ein hyperventilierender Kamikaze, zum suizidalen Bersten entschlossen. Ich dachte: Gleich gibt’s den ersten Toten. Doch da brach er den Angriff jäh ab, trat immer noch brüllend den Rückzug an und stampfte aus dem Saal, schwerbeleibt und schwerbeweibt, also mit seiner fülligen Furie im Schlepptau.
Ein kleiner Troß von hochbetagten Smoking-Guerillas und Pailletten-Wallküren marschierte im Protestzug hinterher. Ich verbeugte mich artig in Richtung der abziehenden Meuterer, pries ihren Mut und den unerwarteten Ausbruch an geriatrischem Temperament. Dann beeilte ich mich, das Feld zu räumen, ehe eine neue Angriffswelle aus den Tiefen des Raums mich hätte überrollen können. Nun ergriff der Kapitän wieder das Oberkommando. Er entschuldigte sich bei den Verbliebenen „für diesen ungeheuren, skandalösen Zwischenfall“ – womit er meinen Auftritt meinte, wie er sofort klarstellte. Er habe leider keinen Einfluß auf die Auswahl der auftretenden Künstler. Er müsse nehmen, was Hamburg ihm aufs Schiff schicke. Er werde sofort mit Hamburg telefonieren, damit die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden könnten. Anschließend sollte der Eröffnungsball stattfinden, doch der fiel aus, weil alles nur noch heftig aufeinander einredend in den Gängen herumstand, um den ungeheuerlichen Vorfall noch einmal skandalisierend zu genießen. Das ging bis weit nach Mitternacht, wo die alten Leutchen längst ins Bett gehört hätten.
In banger Erwartung sah ich mich schon im nächsten Hafen mit Schimpf und Schande von Bord gejagt und damit zumindest meinen Verfolgern entronnen. Doch die Konsequenzen sahen dann ganz anders aus, weil nämlich der Kapitän sich am nächsten Tag bei mir entschuldigen mußte und ich noch zwei Extra-Vorstellungen geben mußte. In den nächtlichen Diskussionen, an denen auch die Schiffsoffiziere teilnahmen, hatte sich nämlich herausgestellt, daß etwa 80 Prozent des Publikums sich überraschend auf meine Seite gestellt hatten.
Woran man einmal mehr sieht, daß auch die bessere Gesellschaft nicht mehr das ist, was sie mal war. Da vergeht einem doch jede Lust, diese Gesellschaft auch noch zu kritisieren. Und wenn Sie mich jetzt fragen, was ich als bleibenden Eindruck von dieser Reise mitgenommen habe, so lautet meine Antwort: Mir ist der Glauben zurückgegeben worden. Längst war er mir abhanden gekommen, der Glauben daran, daß politische Satire überhaupt noch irgendwas oder irgendwen provozieren könnte.
Es mußte erst zu einem bewaffneten Aufstand von radikalen Oberschicht-Mumien kommen, um meinem satirischen Dasein wieder einen Sinn zu geben.