Bekenntnisse

Herr B. 

macht was rund

Nr. 544 – vom 11. Mai 2012
Einige von meinen Leserinnen und Lesern wissen es ohnehin, also kann ich es auch offen zugeben: Ja, morgen werde ich sieben Jahrzehnte hinter mich gebracht haben. Dreißig Jahre davon auf der Bühne (wenn auch nicht durchgängig). Meine Liebste und ich haben uns in eine funklöchrige Idylle zurückgezogen, um allem Trubel zu entgehen. Wenn Sie mir als meine wochenschauernde Gemeinde eine Geburtstagsfreude machen wollen – sammle ich hier gerne mal wieder die Kollekte ein für eine kleine Hilfsorganisation. Die haben Freunde von Känguruh-Film vor Jahren gegründet, nachdem sie einen Dokumentarfilm über das Elend der Kinder von Recife gedreht hatten: 

Kinderhilfe Brasilien e.V., 
Commerzbank (BLZ 10040000) 
Konto: 325 33 33 – Stichwort: Martin Buchholz. 

Bei diesen Freunden (die -innen in-klusive, allen voran Ingeborg Ullrich) weiß ich, daß jeder Cent auch vor Ort ankommt bei den verschiedenen Einrichtungen, die da inzwischen am Werk sind. Zur Information: www.kinderhilfe-brasilien.de. Danke im voraus.

Ich selber mache mir zum Geburtstagsgeschenk, daß ich in den nächsten Monaten etwas kürzer treten werde, auch was die freitägliche Wochenschauer-Fron angeht. Bis Anfang Oktober werde ich mich also nur sporadisch melden – immer dann, wenn ich meine, zu irgendwelchen Ereignissen oder Nicht-Ereignissen meinen Senf dazugeben zu müssen.

Heute kriegen Sie aus gegebenem Anlaß ein Gedicht zu lesen und außerdem ein Interview, das ein Rundfunkmensch mit mir geführt hat. Zuerst das Poem:


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Herr B., ein Mann in jenen Jahren,
die nur die besten nennt, wer sie nicht spürt,
stand nackt vorm Spiegel mit viel Haut und wenig Haaren
und sah sich unbarmherzig reflektiert.

Des Leibes Mitte sah er speckgegürtet,
im Busen volle Körbchengröße pfundet.
Zu oft mit rotem Wein und Bier bewirtet
hat sich scheinschwanger ihm der Bauch gerundet.

Die Muckis mickern lange schon.
Wo Bizeps war, blubbert Seniorenbrei.
Und die Gesetze der Gravitation
geh’n ihm nun auch nicht mehr am Arsch vorbei.

Herr B. zerschlug des Spiegels blanken Hohn,
um sich von diesem Ebenbild zu trennen.
Wenn Selbsterkenntnis führt so solcher Reflexion,
will er sich lieber nicht mehr selbst erkennen.


+++


Und hier das Interview:


Frage: Martin Buchholz wird 70. In manchen Kritiken wurden Sie zuvor schon als „satirisches Urgestein“ oder gar als ein „Dinosaurier des politischen Kabaretts“ bezeichnet. Wie lange wollen Sie eigentlich noch die Bühnen unsicher machen?

Buchholz: Keine Ahnung. Als Dinosaurier weigere ich mich einfach auszusterben. Allerdings, wenn irgendwas an mir urig ist, dann ist es die Tatsache, daß ich Urberliner bin. Aber wenn ich bei einigen Zuschauern einen Stein im Brett habe, kann es von mir aus auch ein Urgestein sein. Vorausgesetzt, die Leute tragen das Brett nicht gerade vorm Kopf.

Frage: Ist politisches Kabarett heute überhaupt noch zeitgemäß? Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, nur den Hofnarren zu spielen, also Teil zu sein in einem gesellschaftlichen System, das sie zugleich kritisieren?

Buchholz: Verachten Sie mir die Hofnarren nicht! Die hatten manchmal wahrlich nichts zu lachen, wenn ihrem König oder Fürst irgendwelche Pointen mißfielen. Dann erlebten die Narren oft einen jähen Karriereknick – wenn plötzlich am Galgen ein Knick am eigenen Halswirbel die Karriere beendete. Insofern leben wir Narren heute ungefährlicher, weil das Publikum nicht mehr allzu lynchbereit ist . Aber natürlich arbeite ich in diesem kapitalistischen System, wo sonst sollte ich arbeiten. Ich betreibe hier in der Marktwirtschaft ein Lachdienstleistungsgewerbe. Das, was ich anbiete und was sich die Leute bieten lassen, ist Satire. Das ist meine Ware – und die Ware ist nun mal das einzig Wahre in diesem System. Beides muß mir mein Publikum abkaufen – sowohl die Ware als auch das Wahre. Auch wenn ich kein wahrer Prophet bin, so muß ich doch zumindest glaubhaft sein. Der Handel, den ich da treibe als Händler, soll gedanklichen Händel stiften und so vielleicht  anstiften zu eigenem Handeln.

Frage: Nun ist es nicht immer klar, wo ihr eigener Standpunkt zu orten ist. So ganz eindeutig lassen Sie sich ja – offenbar absichtsvoll – nicht festlegen.

Buchholz: Stimmt schon. Ich hatte allerdings früher mal einen Standpunkt, der war echt Klasse, aber ich bin nun mal ein satirischer Zappelphilipp, also ich bin notorisch motorisch. Ich kann einfach nicht stillestehen auf so einem Standpunkt. Der Liedermacher Kurt Demmler hat mal gesungen, daß ein Standpunkt kein Stehpunkt sei, sondern ein Gehpunkt. Dieses Sich-Bewegen wird von vielen mißverstanden als ein Verhalten ohne Haltung – und tatsächlich bin ich eher ungehalten –, aber es ist immerhin ein aufrechtes Gehen.

Frage: Vom Kriechen in irgendwelche Löcher halten Sie wohl wenig?

Buchholz:  Nee, ich stamme von einer Primatenart ab, der solcher Kriechgang auf irgendwelchen Schleimspuren einfach zu lachhaft und zu lochhaft ist. Der aufrechte Gang scheint mir eine durchaus mögliche menschliche Bewegungsform zu sein. Und dafür braucht man dann wiederum Haltung, also nicht nur eine Wirbelsäule, sondern Rückgrat. Ansonsten gibt es kein „Halt!“, kein Stop-Signal für mich – auch nicht bei irgendwelchen linken Tabus. Ich denke durch – auch bei Rot. Und bei Grün sowieso.

Frage: Was wollen erreichen, was bewirken?

Buchholz: In dieser Zeit, in der ein fröhliches, freches, freies Vorwärtsträumen und Vorwärtsdenken von den meisten für undenkbar gehalten wird, müssen sich die paar Menschen, die noch Lust und Laune an der eigenen Bewegung haben, auch gegenseitig belustigen und belaunigen. Solche Menschen erleben da einen Kerl auf der Bühne, der in diesen etwas verfinsterten Zeiten nicht nur ängstlich im Keller vor sich hin pfeift, sondern der noch wirklich, also: auch auf sich selbst einwirkend, lachen kann – herzlich und hirnlich zugleich.

Frage: Nun sind Ihre scheinbar so lockeren Wort-Kaskaden mit den herausgeschleuderten Pointen hart erarbeitet, wie ich vermute. Wie entsteht so ein Programm? Wie abgeschlossen bzw. wie offen ist es?

Buchholz: Es muß abgeschlossen sein, um offen zu werden. Improvisieren zu einem Thema kann man auch im Jazz erst, wenn das Thema „sitzt“, in meinem Fall also: wenn ich den Text beherrsche und nicht der Text mich. Je länger ich ein Programm spiele, desto lockerer gehen Improvisation und das von mir Vorgeschriebene durcheinander. Manchmal verblüffen mich plötzliche Assoziationen auf der Bühne selbst so sehr, daß ich gemeinsam mit dem Publikum ins Lachen komme – und hinterher nicht mehr weiter weiß, also meinen roten Faden total verloren habe. Das macht auch dem Publikum ein großes Vergnügen. 

Frage: Wie lange brauchen Sie, um ein Programm zu schreiben? Das müssen doch Monate sein.

Buchholz: Wenn ich die Wochen dazuzähle, in denen ich mit schlechtem Gewissen herumschleiche, weil ich noch immer nicht mit dem Schreiben begonnen habe, kann schon ein Vierteljahr zusammenkommen. Durch meine zwanzigjährige Arbeit in der Journaille bin ich in meiner Arbeitsdisziplin ziemlich versaut. Ich kann nur unter Druck produktiv sein. Eigentlich immer auf dem letzten Drücker, wie es im Zeitungsalltag unumgänglich ist. Konkret heißt das: Etwa vier Wochen vor einer Premiere zwingt mich der Termindruck an den Computer. Dann allerdings schreibe ich zu jeder Tages- und Nachtzeit und hau mich zwischendurch nur für ein paar Stunden aufs Ohr.

Frage: Außerdem haben Sie in den letzten Jahren acht Bücher geschrieben, zuletzt den satirischen Gedichtband „Geh!Denken – Geh!Dichte“. Und im Internet haben Sie unter www.martin-buchholz.de jede Woche eine Satirekolumne – und das auch schon seit dreizehn Jahren. Haben Sie noch nie was von Ruhestand gehört?

Buchholz: Ruhestand? Das hört sich für mich so an, als ob man nur noch rumsteht und wartet, bis man zur letzten Ruhe dran ist. Wie gesagt, Stillstand ist für mich kein Zustand.

Frage: Sie erwähnen und zitieren in Ihren Programmen und Kolumnen immer mal wieder Wolfgang Neuss. Wen zählen Sie noch zu Ihren geistigen Vätern?

Buchholz: Vergessen wir die Mütter nicht – zum Beispiel meine Kollegin Kassandra, die Patin ist für mein nächstes Programm „Kassandra, übernehmen Sie!“. Eine Seherin, die eigentlich nur das sah, was jeder hätte sehen können, wenn er nur die Augen aufgemacht hätte. Eine Augenöffnerin. Tscha, ansonsten meine geistigen Väter – wer sind die? Natürlich Neuss in erster Linie, aber auch Karl Kraus, Tucholsky, klar, und Bertolt Brecht. Neuss hat sich als erster um mein satirisches Vielleicht-Talent gekümmert – schon zu einer Zeit, als ich noch Zeitungs-Volontär beim Berliner „Abend“ war. Auch eine Zeitung, die schon lange nicht mehr existiert. Wo immer ich hinschrieb, wuchs bald kein Blatt mehr.

Frage: Wie kam dieser Kontakt zustande?

Buchholz: Ich kannte Neuss natürlich von seinen Auftritten her. Persönlich lernte ich ihn kennen, als er im „Abend“ während der Filmfestspiel-Wochen eine tägliche Kolumne hatte. Die hieß: „Neues vom Neuss“. Das war eine politische Conférence, die er am Abend auf der Bühne des „Studio“-Kinos am Lehniner Platz (wo heute die „Schaubühne“ ist) vortrug. Er machte da eine Art Vorprogramm zu seinem Film „Genosse Münchhausen“. Und ich saß als junger Bengel auf der Treppe zur Bühne und nahm mit einem Tonbandgerät seinen satirischen Sermon auf. In der Nacht hackte ich dann in der Redaktion daraus eine Kolumne zusammen. Nun war auch Wolfgang Neuss keiner, der Pointen am Fließband produzieren konnte. Er machte also nicht jeden Abend eine völlig neue Conférence, sondern reicherte seinen Text nur hier und da mit neuen Einfällen an. In der Kolumne konnte ich aber keine Pointe zweimal drucken. Um den Platz zu füllen, setzte ich mich also hin und dachte mir selbst etwas aus, das mir halbwegs pointiert vorkam.

Frage: So sind Sie also zum Ghostwriter für Neuss geworden?

Buchholz: Zumindest bei diesen Kolumnen. Ich war natürlich ungeheuer gebauchpinselt, wenn Neuss dann am Abend vor Publikum meine Pointen in sein Programm aufnahm, was allerdings zur Folge hatte, daß ich in der Nacht dann noch mehr Kolumnen-Platz mit meinem Zeugs füllen mußte. Aber seither haben wir immer wieder mal zusammengearbeitet. Er holte mich als Chefreporter zum „Spandauer Volksblatt“, als Grass, Enzensberger und Neuss mit diesem Blatt linke Presse-Revolution in Berlin machen wollten. Als ich später mit Freunden ein linkes Boulevardblatt zu starten versuchte, was nach dreizehn Nummern kläglich scheiterte, war Neussens Büro die Redaktionsadresse. Und er selbst schrieb auch wieder eine Kolumne. Lang, lang ist’s her.

Frage: Und dann? Wie kam es zum Wechsel vom Schreibtisch auf die Bühne?

Buchholz: Ich hatte schon vorher nebenher Kabarett gemacht. Als ich mal wieder eine Redaktionstür nach einem Krach mit dem Chefredakteur hinter mir zugeschmissen hatte, habe ich das dann zu meiner Profession gemacht. Der Wechsel war gar nicht so gravierend: Ich hatte nur die Veröffentlichungsform gewechselt. Kabarett ist für mich auch die Fortsetzung von Journalismus mit anderen Mitteln. Allerdings bin ich jetzt mein eigener Chefredakteur. Bis auf meine Frau, die auch bei der Umsetzung der Texte auf der Bühne das vorletzte Wort hat, redet mir keiner rein.

Frage: Sie treten sehr viel in den neuen Bundesländern auf – fast so oft wie im Westen. Gibt es zwischen hüben und drüben Unterschiede in den Reaktionen?

Buchholz: Manchem Ossi fehlte zunächst noch das selbstironische Polster, zugleich aber auch das behäbige Sitzfleisch, das sich etliche Wessis im Kabarett angesessen hatten. Wenn ich die Position des arroganten Wessis auf der Bühne pointiert auf die Spitze getrieben habe, wurde das zuweilen 1:1 genommen. Einige kriegten nicht mit, daß ich zunächst mal „den“ Wessi karikierte. Da gab's dann hinterher schon mal gehässige Maulereien.

Frage: Aber meist wird von Ihnen im Publikum ein einverständiges Lachen produziert. Die Leute, die zu Ihnen kommen, brauchten Ihre satirischen Gemeinheiten doch gar nicht so dringend. Jene, die sie brauchen würden, kommen vorsichtshalber erst gar nicht. So spielen Sie eigentlich immer vor dem falschen Publikum.

Buchholz: Ja, das ist meine ganz persönliche Tragik. Seit 30 Jahren stehe ich nun auf der Bühne und hatte noch nie ein richtiges Publikum. Immer nur Leute wie Sie. Gräßlich!

Frage: Ja, dafür üben Sie sich ja auch reichlich in Publikumsbeschimpfung.

Buchholz: Na, sagen wir mal, ich gehe mit dem Volk – oder eben dem Völkchen, das zu mir kommt – locker-sarkastisch um. Ich mache den Leuten klar, daß sie eigentlich nur meine Scheinwerfer sind, weil sie ja an der Kasse ihre Scheine hingeworfen haben. Ohne diese Scheine wären sie für mich gar nicht existent. Ihr Schein bestimmt also mein Bewußtsein von ihrem Sein. Eben ein Schein-Verhältnis. Außerdem sitzen da vor mir teilweise auch Leute, die sich sowas wie mich mit meinen Anschauungen in einem normalen politischen Gespräch keine fünf Minuten lang antun würden – die aber im Kabarett noch extra Eintritt dafür zahlen. Diese masochistische Haltung koste ich mit satirischem Sadismus aus.