Bekenntnisse

Steinbrück will’s werden – 

Kohl war’s schon

Nr. 552 – vom 28. September 2012
Die K-Frage scheint also für die SPD gelöst. Das K steht für: Kann-das-einer-von-uns? Nachdem Helmut Schmidt schon vor Monaten seinen Schachkumpan Peer Steinbrück einstimmig zum Kanzlerkandidaten ernannt hatte, zog nun auch Steinmeier nach beziehungsweise ab und sich zurück. Das Ganze läuft aber nur mit der Kraft der drei Herzen, wird in SPD-Kreisen versichert. Also die Troika werde weitermachen, wobei Gabriel und Steinmeier rückhältig fungieren – zwecks Nachhaltigkeit. Ein böser Schelm, wer das bei diesen Hintermännern mit Hinterhältigkeit übersetzen wollte.
 
Allerdings ist es mit der Nachhaltigkeit beim Kandidaten auch nicht so weit her: Der hat sich ja gerade in einem Konzept-Papier „zur Bändigung der Finanzmärkte“ neu konzepiert als Dompteur des wildgewordenen Raubtier-Kapitalismus. Jetzt muß man zunächst bei der SPD-Basis und später bei den Wähler erst einmal für eine gründliche Amnesie sorgen. Man muß sie vergessen lassen, daß Steinbrück als Finanzminister dieses Raubtier immer liebevoll gekrault hat. Nun aber will er mit sich selber nichts mehr zu tun haben. Der Steinbrück 2013 ist also keinesfalls zu verwechseln mit dem Steinbrück 2005. Die „Nachdenkseiten“ haben dazu gestern eine sehr prägnante Analyse gebracht, wie er uns der Saulus nun den Paulus vorspielt, der in der Finanzkrise sein Damaskus erlebt haben will. (Wobei „Damaskus“ hier nur als Metapher zu verstehen ist. Glaubhaften Quellen aus Steinbrücks Umkreis zufolge hat er keineswegs vor, den Regierungssitz nach Syrien zu verlagern.)
 
Das  sozialdemokratische Triumvirat bleibt also auch fürderhin im Einsatz. Aber solche Dreiecksgeschichten gehen ja meist unglücklich aus. Das hat man schon früher mal bei der SPD erlebt. Schließlich hatte man schon einmal einen solchen flotten Dreier an der Spitze: Schröder, Scharping, Lafontaine. Das war gewissermaßen ein Bermuda-Dreieck des sozialdemokratischen Grauens: Eine ganze Arbeiterklasse ist darin spurlos verschwunden.
 
Und auch diesmal definiert sich dieses Dreieck nach dem Gesetz des alten Pythagoras. Nur wurde die Formel leicht abgeändert: Also Gabriel hoch zwei plus Steinmeier zum Quadrat soll Steinbrück in Potenz bringen.
 
Bei den Potenzproblemen, die diese bald 150jährige sozialdemokratische Genossenschaft hat, habe ich so meine Zweifel, ob das den Steinbrück wirklich hoch bringt.
 
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Bei der CDU feierte man währenddessen ein kurzfristiges Helmut-Kohl-Rebirthing. Vor 30 Jahren war der durch einen Staatsstreich der Genscher-FDP an die Macht geputscht worden, weshalb der Zorn von Helmut Schmidt bis heute nicht ganz verraucht ist. (Was vielleicht dessen fortwährende Qualmerei erklärt; der dampft ja als Elder Smokeman aus allen Fernsehkanälen.) Bei der CDU hatte man lange versucht, den politisch längst Verflossenen endgültig zu vergessen. Anfang dieses Jahrtausends war ja auch bei seinen christdemokratischen Fans die Zuneigung plötzlich erkaltet. Da war Schluß mit der Liebe in der Zeit der Kohl-Ära. Lange hatte man den Dolch im Gewande verborgen, doch nun stichelten alle beim Urvatermord voller Freud auf ihn ein, bis er gemeuchelt danieder sank. Den letzten Todesstoß versetzte ihm eine seiner liebsten Vertrauten, so daß er im letzten Seufzer nur noch stöhnte: „Auch du, mein Mädchen Angela!“
 
Inzwischen ist aus seinem Mädchen längst eine gestandene Frau geworden. Und so stand sie nun am Rednerpult der Revival-Session zwecks Lob und Hudel. Man beachte die Reihenfolge: Erst meucheln, dann heucheln! Nun hudelte sie also, wie gewichtig doch dieser Dickmann schon immer war und noch immer sei. Was ja nicht ganz falsch ist. Wenn es je einen Machtkörper gab in Deutschland, dann war er es. Der hatte wahrlich sein Fett weg. Seine Spenden natürlich auch. Und die Big Spender verschwieg er. Das nennt man Strafvereitelung im Amt. Jeder andere Gesetzes-Verbrecher wäre dafür im Bau gelandet. Kohl hingegen mußte nur aus dem Bau verschwinden, und zwar aus dem Kanzleramt. 
 
Seine einstige kriminelle Energie verdämmert im abendmilden Licht des gnädigen Vergessens. Schließlich, so war stets seine Begründung, habe er den Big Spendern sein Ehrenwort gegeben, daß er sie niemals öffentlich benennen werde. Nun ist ein Politiker-Ehrenwort in diesem Lande nicht ohne Risiko, weil mancher ehrenwörtliche Großsprecher sein Ehrenwort hinterher ausbaden muß. Im Falle Helmut Kohl war diese Sorge unbegründet. Der paßte schon zu seinen politischen Lebzeiten in keine Badewanne mehr. Weshalb nun Angela badet – im Glanze seines späten Ruhms.
 
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Soll aber keiner sagen, daß unsere Kanzlerin treulos sei. Die hält auch zu Ministern, wenn sie keine mehr sind. Das bewies sie in dieser Woche bei ihrem Auftritt vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuß. Da nahm sie eine Umweltministerin aus den neunziger Jahren energisch in Schutz. Zufälligerweise trug die auch ihren Namen. Diese Ministerin Angela Merkel sollte, so der späte oppositionelle Vorwurf, ein eindeutiges Gutachten in ihrem Sinne verfälscht haben. Danach habe sie sich eindeutig auf Gorleben als endgültige Atommülldeponie festgelegt. Dieser Vorwurf an die heutige Kanzlerin ist schon deshalb absurd, weil diese Umweltministerin eine vehemente Befürworterin der Atomenergie war. Sie kann also gar nicht mit der jetzigen Regierungs-Chefin identisch sein, die als Anti-AKW-Kämpferin weltweit bekannt ist.
 
Dennoch verteidigte sie die frühere Ministerin in posthumer Fürsorglichkeit. Die sei damals, so erklärte sie, nur mißverstanden worden. Besagtes Fräulein Merkel sei eben „vielleicht sprachlich noch nicht so perfekt gewesen“. Ja, sowas kann passieren, wenn man als Ministerin ein Mädchen aus dem nahen Osten engagiert, wie es Kohl damals tat. Die mußte schließlich erst einmal Bundesdeutsch lernen. Wie schön, daß wir heute eine gestandene Deutschmeisterin im Kanzleramt haben, die an sprachlicher Perfektion nicht zu überbieten ist, höchstens von sich selbst.
 
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Dienstagabend. Die ARD-„Tagesschau“ läuft. Ein Herr Seehofer wird kurz vernommen zum mehrheitlichen Bundesrats-Beschluß, eine Frauenquote in großen Unternehmen zu befürworten. Er sagt:
 
„Ich kann nur empfehlen: Eine Koalition handelt gemeinsam, mit Ausnahme von Gewissensfragen, und ich kann nicht erkennen, dass dies eine ist.“
 
Dienstagnacht. Die ARD-„Tagesthemen“ laufen. Ein Herr Seehofer wird befragt zum Koalitions-Gerangel um die betreute Herdprämie. Er sagt:
 
„Ich kann nur empfehlen: Eine Koalition handelt gemeinsam, mit Ausnahme von Gewissensfragen, und ich kann nicht erkennen, dass dies eine ist.“
 
Auf eine Anfrage des medienkritischen Internet-Journals „bildblog“ erklärte die Chefredaktion von „ARD-aktuell“, daß Seehofer sich mit diesen Worten tatsächlich zur zum Thema Frauenquote geäußert habe. Der Irrtum der Redaktion erkäre sich wohl damit, „daß die Koalition gleich mehrere Baustellen hat, auf den der Sinnzusammenhang Seehofers zutrifft“.
 
Im Klartext heißt das: Die vorgestanzten Polit-Phrasen sind absolut austauschbar und passen zu jedem Thema. Wie beruhigend, daß sich diese allabendliche Erkenntnis nun auch bis zu den Produzenten der Fernseh-Nachrichten herumgesprochen hat. Mein Vorschlag: Von jedem dieser nichssagenden Dauer-Brabbler sollte man jeweils nur einen einzigen Sabbel-Satz aufzeichnen, den man dann jeden Abend in einer Endlosschleife versenden könnte zu jeder beliebigen Frage. Das würde erstens kaum einer merken und zweitens würde es die Produktionskosten immens verringern. Alle Hauptstadtstudios könnten aufgelöst werden. Dann könnte man endlich auch die Fernsehgebühren erheblich senken.