Wie die Griechen uns Deutschen
einen Schuldenschnitt verpassen mußten
Nr. 560 – vom 23. November 2012
Griechenland, das Siechenland... Auch wenn da noch so viele Euros nach Athen getragen werden, sie verblubbern sofort in dem unermesslichen Sumpf, in dem die internationalen Banken ihre fetten Kröten quaken lassen. Ein Ökotop, in dem nur noch die Zinsen wuchern und wuchern und somit die Schulden wachsen und wachsen. Dabei ist es ein offenes ökonomisches Geheimnis, wie man diesen Sumpf zumindest größtenteils trockenlegen könnte, damit das Land der Hellenen nicht endgültig in den Orkus versackt. Selbst die konservativsten Scharlatane des finanzpolitischen Orakelgeschäfts, die man gemeinhin "Wirtschaftsweise" nennt, plädieren inzwischen für einen Schuldenerlaß, um einen Neuanfang wenigstens ansatzweise zu ermöglichen. Doch die deutsche Kanzlerin verläßt sich da lieber auf ihre Chefberaterin in ökonomischen Fragen – und das ist bekanntlich die schwäbische Hausfrau, die ihr in der transvestiten Gestalt eines Schäuble zur Seite gesellt ist. Und beide wissen nur eines: Ein solcher Schuldenschnitt für Griechenland ist mit der "Bild-Zeitung" nicht zu machen und darum auch nicht mit ihnen – und schon gar nicht vor der Bundestagswahl im kommenden Herbst. Schäuble als Staatssäckle-Hüter betont immer wieder, daß es ihm gar nicht erlaubt sei, auf Forderungen gegenüber einem anderen Staat zu verzichten.
Das wird man in Griechenland mit Interesse gehört haben. Denn die Griechen warten schon seit Jahrzehnten darauf, daß Deutschland endlich seine Staatsschulden bei ihnen begleicht. Nur, daß von diesen Schulden hierzulande niemand etwas wissen will, da man wie üblich, wenn es um deutsche Schuld und deutsche Schulden geht, an kollektiver Erinnerungsschwäche leidet, eben an pangermanischer General-Amnesie.
Diese Schulden stammen aus einer Zeit, die wir heute generell als verjährt ansehen. In dieser tausendjährigen Vorzeit hatte schon einmal ein deutscher Kanzler versucht, die Idee des vereinten Europa unter deutscher Oberaufsicht auf diesem Kontinent in die Tat umzusetzen. Deshalb war eine größere deutsche Reisegruppe unter anderem auch nach Griechenland gefahren, um diese Idee dort tatkräftig zu propagieren. Für diese Fahrt war man in Ermangelung von Reisebussen ersatzweise auf Panzer umgestiegen, was die Fahrtkosten natürlich ansteigen ließ wegen des erhöhten Treibstoffverbrauchs. Aber die Gesetze der Gastfreundschaft geboten es ohnehin, daß die Kosten für die Reise und unseren Aufenthalt von unseren europäischen Nachbarn übernommen wurden, bei denen wir da zu Besuch waren. Schließlich wäre es nicht die feine deutsche Art gewesen, unsere Gastgeber zu kränken, indem wir ihnen eine Bezahlung für Kost und Logis angeboten hätten.
Ohnehin waren wir damals finanzmäßig mehr als klamm, weil schon die langwierigen Reisevorbereitungen ziemlich kostspielig gewesen waren. Deshalb mußten wir, so schwer es uns auch fiel, bei unseren griechischen Gastgebern zusätzlich etwas Geld pumpen. Genau genommen pumpten wir ihnen die ganze griechische Staatsbank leer. Böswillige Zungen haben dafür den unschönen Ausdruck "Zwangsanleihen" geprägt, was zeigt, daß manche aus der Not heraus geborene Maßnahme auch gründlich mißverstanden werden kann. Ohnehin war bei einigen unserer Nachbarn, so auch bei etlichen Griechen, eine gewisse Mißlaunigkeit nicht zu übersehen, wenn wir Deutschen ihre Gastfreundschaft beanspruchten. Woran man sieht, daß das Problem der Fremdenfeindlichkeit niemals ein deutsches war, sondern schon immer ein Problem der Ausländer. Jedenfalls folgten die griechischen Staatsbänker unserem freundlich vorgetragenen Ersuchen um einen längerfristigen Kredit und gaben uns alles Geld, das sie hatten. Vorher hatten sie ihre Drachmen natürlich in Reichsmark umgetauscht, denn so etwas Minderwertiges wie die Drachme hätten wir schon damals abgelehnt. Insgesamt waren es 476 Millionen Reichsmark, die wir uns großzügig überlassen ließen. Und natürlich haben wir dafür ordentlich, wie sich's gehört, einen Schuldschein hinterlegt.
Nun weiß man ja, wie die Dinge gelaufen sind. Tscha, eben dumm gelaufen. Wir mußten kurzfristig unseren Besuch abbrechen und schlitterten kurz danach in einen totalen Staatsbankrott. Auch der damalige Kanzler kam uns dann irgendwie abhanden. Jedenfalls war der deutsche Staat so was von pleite, so daß wir beim besten Willen keiner einzigen Forderung irgendwelcher Gläubiger nachkommen konnten. Nun war ja jeder aufrechte Deutsche in den tausend Jahren zuvor selbst ein zutiefst Gläubiger gewesen, aber dieser Glaube an den ersten gesamteuropäischen Kanzler hatte sich mit demselben über Nacht verflüchtigt.
Auch die Reichsmark hatte sich dann bald nach dem Ende des Reiches erledigt. Blöderweise aber nicht die 476 Millionen Reichsmark, die wir uns als Kredit aus der griechischen Staats-Schatulle entnommen hatten. Die wollten die Griechen auf einmal wiederhaben, denn kaum waren wir bei ihnen etwas überstürzt abgereist, wurden sie uns gegenüber ziemlich kiebig. Unsere Entschuldigung, daß wir doch keine einzige Reichsmark mehr hätten, wollten sie als Entschuldung nicht gelten lassen. Und das tun die meisten Griechen bis heute nicht, wie man den Berichten und Kommentaren in ihren Gazetten immer wieder entnehmen kann.
Nun haben sogar vaterlandsvergessene deutsche Volkswirtschaftler diese Reichsmark-Schulden umgerechnet. Nach der heutigen Kaufkraft läge die Summe ohne jeden Zins-Aufschlag bei etwa 10 Milliarden Euro. Nehmen wir an, die Verzinsung läge bei nur drei Prozent – ein Zinssatz, von dem die Griechen heute träumen können; für deutsche Kredite müssen sie bis zu 11 Prozent zahlen. Dann wären im Laufe der vergangenen 67 Jahre diese Außenstände auf mindestens 70 Milliarden Euro angewachsen.
Zum Vergleich: Im Rahmen der Euro-Krise liegt der deutsche Anteil an den nach Athen vergebenen Krediten und Bürgschaften bei 35,2 Milliarden Euro. Wenn also derzeit ein Schuldenschnitt von 50 Prozent im öffentlichen Gerede ist, müßten wir auf 17,5 Milliarden verzichten – wohl wissend, daß wir die auch ohne Schuldenschnitt ohnehin nie wiedersehen werden.
Nun wurden zumindest den westlichen Deutschen nach dem Krieg alle Reparationskosten auf Druck der Amerikaner erlassen. Die brauchten das deutsche Knowhow inzwischen in einem neu ausgebrochenen Krieg, und zwar im Kalten. Im Londoner Abkommen von 1953 frisierten die amerikanischen Finanz-Figaros in einem radikalen Haircut auch die Schulden-Bilanz des Deutschen Reichs bei US-Banken. So wurden alle Altlasten aus Alt-Krediten der Weimarer Zeit gestrichen – und das waren schon damals etliche Milliarden. Allerdings blieben die Kreditschulden der Deutschen bei den Griechen erhalten. Sie wurden lediglich gestundet – mit Zinsen, versteht sich – und zwar bis zum Tage eines Friedensvertrages. Und dieser Tag war nun schon vor 22 Jahren eingetreten. Als 1990 die deutsche Einheit verhandelt wurde, waren sich alle vier ehemaligen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges darin einig, daß das völkerrechtlich bindende Zwei-plus-Vier-Abkommen „anstelle eines Friedensvertrages“ in Kraft getreten werden sollte.
Das wäre also der Zahltag gewesen. Doch inzwischen hatte sich die Situation grundlegend geändert. Wir Deutschen waren wieder ökonomisch und wirtschaftlich die Nummer 1 in Europa. So hatten wir nachträglich mit einiger Verspätung den Krieg doch noch gewonnen. Wir waren und sind die Sieger der Geschichte. Und Sieger zahlen grundsätzlich keine Kriegsschulden zurück an die Besiegten.
Die zaghaften Vorstöße der griechischen Regierung wurden vom neuen europäischen Einheitskanzler als irrelevant abgeschmettert. So mußten die Griechen uns Deutschen de facto einen Schuldenerlaß von 100 Prozent gewähren. Immerhin 70 Milliarden bei günstigstem Zinssatz. Doch wie kämen wir dazu, es ihnen gleichzutun. Das dürfen wir auch gar nicht, erklärt uns die Regierung, und darum können wir's auch nicht.
Und so beschließt man bei Bedarf
mit Morgenstern ganz messerscharf,
daß nicht sein kann, was nicht sein darf.