Bekenntnisse

Lerne gedenken 

ohne zu denken!

Nr. 561 – vom 30. November 2012
In den letzten Wochen erschienen immer mal wieder stimmungsvolle Besinnungsaufsätze in unseren Postillen. Gedenkartikel zu 20jährigen Jubiläen. Mal ging es ge-&be-denklich um Hoyerswerda, dann um Rostock-Lichtenhagen und in der letzten Woche um Mölln. Es wurde jeweils feierlich gedacht – und zwar der Pogrome, die vor zwei Jahrzehnten begangen wurden. Ist ja klar: Wenn damals nicht diese Pogrome begangen worden wären, könnten wir 20 Jahre später auch keine Gedenktage begehen. Das nennt man deutsche Nachhaltigkeit. Wie meinte einst der olle Wolfgang Neuss (von mir leicht abgewandelt): Man kann gar nicht so viel kotzen, wie man in diesem Deutschland zu gedenken kriegt.

Nun denken ja die meisten Deutschen, wenn sie denn mal denken, daß man in diesem Lande der Vergangenheit genügend gedacht habe. In Deutschland wird eben erst immer hinterher gedacht, vorher nie. Aber von diesem Hinterher-Denken hat man dann auch bald genug.

Und was machen die Feiertagsredner der verschiedenen Parteien an so einem Gedenktag? Na klar, sie gedenken ebenfalls – und zwar der Schandtaten anderer. Nicht etwa der eigenen Schande. Nämlich, daß die etablierten Parteien – allen voran die CDU/CSU, aber auch FDP und SPD – diese Mordsstimmung, die damals herrschte, erst so richtig hochgeschaukelt haben.

Vor 20 Jahren wurde bundestäglich Schlagzeilen-Alarm geschlagen: „Deutschland versinkt in einer Asylantenflut“. Schon bei der Benutzung solcher Begriffe wie „Asylantenflut“ wurden die Übergänge fließend; da wurden alle unterschwelligen Schleusen zum alltäglichen Faschismus geöffnet. So beschwört man urängstlich das Bild einer chaotischen Urflut. Überall schwappt die fremde Masse. Eine Überschwemmung durch Überfremdung, in der das deutsche Volk endgültig abzusaufen droht. Ohne solche Horror-Szenarien des endgültigen deutschen Untergangs kommt noch heute keine dieser Volksaufklärungskampagnen aus. „Deutschland schafft sich ab“, so menetekelte später Sarrazin in hundertausendfacher Auflage und die einschlägigen Aufklärungsorgane echoten es millionenfach wider.

Als Folge dieser Asylantenflut-Propaganda haben wir heute das sogenannte „verkürzte Asylverfahren“. Im deutschen Klartext heißt das, daß man kurzen Prozeß machen muß. In diesem Sinn wurde schon damals der Mob auf Deutschlands Straßen aktiv.

Für die richtige Mordsstimmung sorgten dabei Tausende von Biedermännern und Biederfrauen, die als Publikum die Brandstifter anfeuerten. Gelegentlich las man in Kommentaren: Solche Leute müsse man verachten. Vonwegen: Hier handelte es sich um ein nicht zu verachtendes Potential an Wählern. Schließlich machen die irgendwann wieder ihr Kreuz – auch wenn sich hinterher herausstellen sollte, daß sie an dieses Kreuz einen kleinen Haken gemalt haben. Vielleicht auch zwei, drei mehr.

Aber erst einmal mußte man den Volkswillen dazu bringen, daß er so richtig aufflammen konnte. Das war beim Thema Asyl zunächst gar nicht so einfach – gerade in den neuen Bundesländern. Nach der Wende war das deutsche Volk im Osten noch längst nicht reif genug für das Thema Asyl. In einer Umfrage erklärten gerade mal sechzehn Prozent der Bevölkerung, daß sie durch ein »Asylanten-Problem« beunruhigt waren. Nun gab und gibt es dort allerdings einen Ausländeranteil von nur 0,8 Prozent. Da muß man die Ausländer schon mit der Fackel suchen.

Doch welche politische Mühsal, welcher publizistische Aufwand war notwendig, um das Thema so hochzukochen, daß endlich auch die Volksseele ins Kochen kam. Die staatstragenden Parteien waren unermüdlich im  Einsatz, um den Willen des Volkes da hinzukriegen, wo man ihn hinhaben wollte. Denn so steht es schließlich als Verfassungsauftrag im Grundgesetz: „Die politischen Parteien wirken bei der Willensbildung des Volkes mit.“ (Artikel 21, Absatz 1)

Mit lodernden Appellen und anheizenden Reden konnte man schließlich im Volke das müde schwelende Interesse so weit entfachen, daß dieses Interesse ein brennendes wurde. Schließlich war der Funke übergesprungen, und dann wurde auch nicht mehr lange gefackelt. So funktionierte auch endlich die Verständigung zwischen Politik und Bürger. Aus so manchem flammenden Satz, der tagsüber im Bundestag fiel, wurde nächtens ein Brandsatz. Aufrechte deutsche Jungs – immer anständig rasiert, sogar auf dem Kopf – wurden so zur ausführenden Gewalt, nachdem die Legislative lange genug öffentlich gezetert hatte über die sogenannten Scheinasylanten. Und erst im Feuerschein der brennenden Asylheime bekam der Begriff Scheinasylant seinen wahren deutschen Sinn.

So wurde das christdemagogische Programm zum einem von BILD befeuerten Pogrom. Auch wenn es ansonsten keiner der Gedenkredner tat, wollte doch zumindest ich dieser Tatsache eingedenk sein bei meinem Gedenken.