Bekenntnisse

Hoeneß und Co.:
Von Vorbildern und Medien-Masken

Nr. 580 – vom 26. April 2013

Ich beginne diese schriftliche Aussage mit einer zerknirschten Selbstanzeige: Auch ich hatte vor, Geld in der Schweiz zu bunkern (ein Land, das bekanntlich ziemlich weit „off shore“ liegt). Ich bin bisher bloß nicht dazu gekommen, was hauptsächlich daran liegt, daß ich das Geld noch nicht habe. Meine Schweizer Hintermänner wollen es mir erst auszahlen, wenn ich Ende Mai in ihren zwielichtigen Etablissements auftauche, um dort auf den Bühnen mein deutsches Unwesen zu treiben. Allerdings fürchte ich, daß es dabei nicht um Millionen-Summen geht, sondern daß man mich mit ein paar spärlichen Fränkli abspeisen wird. Und die werden auch noch automatisch dem zuständigen Finanzamt gemeldet. Man sieht, die Welt ist ungerecht.

Zumindest bleibt mir so das Schafott erspart, auf dem die medialen Henker schon seit Tagen unermüdlich ihr Hackebeil schwingen. Und ein ums andere Mal rollt dabei immer wieder derselbe Kopf, der eines gewissen Herrn Hoeneß – und zwar ins Abseits. Der Haupt-Darsteller ziert auch das Titelbild des neuen „Stern“ mit dem Untertitel: „Vom Vorbild zum Scheinheiligen“. Nun sind es ja in dieser Hai-Society durch die Bank weg immer wieder die Scheine, die alle Mittel heiligen. Da ist Scheinheiligkeit eine durchaus angemessene Bewußtseinsform. Meine alte Rede: Der Schein bestimmt das Bewußtschwein. Peinlich ist die Sache nur für all die Sender und illustrierten Gazetten, die zuvor dem nun enttarnten Scheinheiligen ständig einen Heiligenschein aufgesetzt hatten und ihn so erst als Vorbild stilisierten – als gebenedeiten Sankt Uli, den Schutzheiligen aller Christenheit, zumindest soweit sie sich in der CSU versammelt hat.

Nun habe er seine Vorbild-Funktion verloren, liest man in den Nachrufen seiner breiten publizistischen Trauergemeinde. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen: Besteht doch die Funktion eines Vorbildes (egal, wer sich dafür her- und ausgibt) darin, daß es sich um ein Abbild von jemand handelt, den man meint, vorzeigen zu können. Dieses Abbild wird einem nun als Vorbild vorgehalten. Je mehr es einem vorgehalten wird, desto öfter muß man es ansehen. Und so errang dieser Herr Hoeneß sein Ansehen quer durch die Sabbel- und Quassel-Shows, wo er zumindest mir schwer auf den Sender ging. Und nicht nur auf einen Sender, sondern auf alle.

Das Seltsame ist allerdings: Seit er kein Vorbild mehr ist, wird einem sein Bild noch öfter vorgehalten als zuvor. Obwohl er sein Ansehen verloren hat, muß ich ihn mir ständig ansehen, wenn ich eine Zeitung aufschlage oder den Fernseher einschalte. Es ist wirklich nicht mehr zum Mitansehen, ständig diese schein-joviale Pfannkuchen-Gesicht als Vor-Bild vor Augen zu haben.

Aber was heißt hier – Gesicht? Diese Frage kam in mir hoch (und derzeit kommt mir einiges hoch, wenn ich an all die Steuer-Verbrecher denke), weil ich gerade ein sehr gewitztes Buch lese mit dem Titel „Faces – eine Geschichte des Gesichts“. Der fulminante Kunsthistoriker Hans Belting schreibt dort unter anderem über das Medien-Doppelspiel von Gesicht und Maske, also über die Dialektik des öffentlichen Vorzeigens von Gesichtern, das eigentlich nur aufgetünchte Image-Fassaden sind. Masken, hinter denen sich etwas verbirgt, was eben nicht vorbildhaft ist. Das, was man auch „das wahre Gesicht“ nennt. Indirekt stellt Belting die Frage: Was ist, wenn es ein wahres Gesicht dahinter gar nicht gibt?

Mir kam dieser Gedanke schon früher, als ich vor Urzeiten über „das Diepgen“ auf der Bühne sinnierte (einige werden sich vielleicht daran erinnern, wie ich meinen Ex-Schulkameraden Eberhard auf seiner Laufbahn immer brav begleitet habe als getreuer Mitläufer). Nun kam mir jene diepgenöse Überlegung wieder in den Sinn, als der Herrn Hoeneß in einer Talkshow-Rückblende noch einmal zu Wort kam als Regierungs-Fürsprecher. Er wetterte gegen jede Form einer Reichensteuer und wies mit eregiertem Anklagefinger „pauschale Verdächtigungen“ zurück. Er bekräftigte das mit den Worten: „Ich kann mir diese klare Haltung erlauben, denn ich persönlich habe nichts zu verbergen.“

Eine solche Aussage hört man des öfteren, wenn öffentliche Gestalten gewissermaßen prophylaktisch ihre Unschuld beteuern, obwohl die – wie bei Hoeneß zu diesem Zeitpunkt – niemand in Frage stellt. Da ich es gewohnt bin, die öffentlichen Worte besonders genau beim Wort zu nehmen, habe ich diese stereotypische Redeweise „Ich persönlich habe nichts zu verbergen“ schon damals einer Analyse unterzogen.

Die Floskel ist nicht nur stereotypisch, sondern auch typisch Stereo. Eben, weil sich der Sprecher hier rhetorisch verdoppelt. Wenn er so ausdrücklich betont „Ich persönlich“, will er offenbar sein personales Ego abgrenzen von einem anderen entgegengesetzten Ich. Und der Gegensatz von „Ich persönlich“ ist logischerweise „Ich unpersönlich“. Auf der einen Seite steht also das Ich als Privatperson, auf der anderen Seite das Ich als öffentliche Erscheinung. Diese Spaltung der eigenen Person in zwei verschiedene Ichs ist zwar ziemlich schizophren, andererseits ist dieses Spaltungs-Irresein in unserer Polit- und Fernsehlandschaft gang und gäbe.

Halten wir also als Zwischenergebnis fest: Der Satz: „Ich persönlich habe nichts zu verbergen“, heißt im Umkehrschluß: „Ich unpersönlich habe etwas zu verbergen.“ Oder genauer übersetzt: „Ich als öffentliche Person habe etwas zu verbergen.“

Aber noch ist der Code nicht ganz entschlüsselt. Die Botschaft, die uns in diesem Fall Herr Hoeneß zukommen läßt, ist komplizierter, als er selbst vermuten würde. Nehmen wir ihm also zunächst das Wörtchen „persönlich“ aus dem Mund und gehen ihm an die Wurzel. „Persönlich“ ist natürlich von der „Person“ abgeleitet. Die „Person“ wiederum stammt ab von der lateinischen „persona“. Das war im antiken Theater die Maske, die der Schauspieler zu tragen hatte, dem Rollen-Charakter gemäß. Eine Charaktermaske. Wobei der „Charakter“ ein Begriff aus der griechischen Münz-Prägung ist; wörtlich: das Vorgestanzte, das Geprägte, im übertragenen Sinne: das Unabänderliche. So wurde Hoeneß als persona alta grada in den Medien als Vorbild vorgestanzt. Soll heißen: Bei seinen Vorstellungen auf der televisionären Bühne hatte sich der Schau-Spieler Hoeneß uns eingeprägt – und zwar als angeblich lauterer, grundehrlicher Charakter-Darsteller. Was hinter der charakteristischen „persona“ steckte, also hinter der Maske, war so nicht zu ersehen.

Der Satz: „Ich persönlich habe nichts zu verbergen“ – heißt also im Klartext: „Ich Maske habe nichts zu verbergen.“ Im Umkehrschluß formuliert, kommt dann das „wahre Gesicht“, also die eigentliche Bedeutung dieser verschleierten Aussage zum Vorschein. Nämlich: „Hinter mir Maske verbirgt sich das Nichts.“

Das ist die Nebenwirkung, wenn man in den TV-Studios zu oft beim Maskenbildner sitzt und aus der Maske kaum noch rauskommt. Denn durch die ständige oberflächliche Selbstdarstellung auf dem VorBildSchirm verschmelzen die öffentliche Maske und das „wahre Gesicht“ immer mehr. Und schließlich ist dann nichts mehr dahinter. Nur das Nichts. Nichts als Oberfläche. Und wenn nun in Kommentaren behauptet wird, der Herr Hoeneß hätte sein Gesicht verloren, so ist das gar nicht möglich. Nein, der Mann hat nichts zu verlieren. (Außer vielleicht ein paar Millionen. Und ich gebe neidvoll zu: Das ist schon ein bißchen mehr als nichts.)

Und damit setze ich hier ganz unpersönlich einen Schlußpunkt und mich persönlich danach in den Garten – solange noch die Sonne scheint. Die darf dann mein wahres Gesicht etwas anbräunen. Sofern ich bis Sonntag mein Gesicht nicht verloren haben sollte, können Sie sich das gerne ansehen; dann stehe bei der „Distel“ in Berlin auf der Bühne, hoch über meinen Publikum. Ich würde gern Ihr hohes Ansehen genießen. Allerdings kann ich Ihnen nicht versprechen, daß ich mich vorbildhaft benehme.



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PS. 
Ich gastiere am Sonntag, 28. April 2013, um 19.00 Uhr im Kabarett-Theater DISTEL in Berlin – ich freue mich auf Sie.
Am Freitag, 24. Mai, im Stadt-Theater Olten (Schweiz).
Am Sonntag, 26. Mai, in Miller's Studio in Zürich.
Am Donnerstag, 30. Mai, im Forum Peine.
Am Freitag, 31. Mai, im Güterschuppen in Westerstede.

Näheres siehe Tourneeplan