Gnade! Gnade!
Oder: Die Hatz auf die Reichen
Das ist nun wirklich eine Sensation, mit der keiner rechnen konnte: Deutschland denkt! Diese erstaunliche Kunde wird mir mitgeteilt vom Zentralorgan der intellektuellen deutschen Elite, also der „Bild-Zeitung“. Und woran denkt Deutschland? Nein, nicht nur an sich, sondern auch sehr freundlich über steuerflüchtige Millionäre, die ihre Flüchtigkeitsfehler reuevoll eingestehen. Gestern schlagzeilte das Blatt der undichten Denker: „So denkt Deutschland über Hoeneß.“ 280.000 Leser haben im Internet abgestimmt. Also mal wieder „ganz Deutschland“, denn: „Jetzt diskutiert ganz Deutschland über seine Zocker-Beichte.“ Und mehr als die Hälfte von diesem Ganz-Deutschland, nämlich 60 Prozent, sind bereit, ihm zu verzeihen. Sie wollen ihn weiter in der deutschen Champions League behalten, denn – so „Bild.de“ – „jeder könne doch mal einen schweren Fehler machen“.
Aber klar! So ein Abseits-Fehler kann einem schon mal unterlaufen. Hat nicht jeder von uns nicht schon mal heimlich ein paar Millionen Euro an der Steuer vorbei ins Schweizer Abseits gebracht – oder noch etwas weiter weg ins karibische Jott-we-de, weil das Geld reif für die Insel war. Na gut, vielleicht nicht jeder von uns – ich zum Beispiel nicht und Sie vielleicht auch nicht. Aber ich vermute mal, daß Sie nur deshalb nie in Versuchung geraten sind, ein paar Millionen Euro an Steuern zu hinterziehen, weil es Ihnen schon an der ersten Million mangelt. Mir leider auch. Und doch bin ich schuldig: Kürzlich hatte ich eine Steuerprüfung, und da hat sich tatsächlich ein Fehlbetrag von 150 Euro ergeben. Ich hatte die Summe in meiner Steuererklärung schlicht vergessen. Wer bin ich also, wenn ich dem Herrn Hoeneß seine Vergeßlichkeit moralisch ankreiden wollte.
Hier gilt die alte ethische Spruchweisheit: Moral ist, wenn man’s trotzdem macht. Und niemand vergibt sich etwas, wenn er etwas vergibt, was er am liebsten selbst gemacht hätte. Zumindest ist das die „Welt“-Sicht, wie sie in den Springer-Blättern den Lesern ins Meinungsorgan transplantiert werden soll. Wie die „Welt“ mir gestern klargemacht hat, ist es zum Beispiel zutiefst unmoralisch und gesellschaftsschädigend, wenn jemand mit der S-Bahn schwarzfährt (wahrscheinlich nur, weil er zu geizig ist, sein Schwarzgeld für einen Fahrschein auszugeben). Doch wie viele Leute tun das, ohne sich zumindest hinterher wie Hoeneß in tätiger Reue selbst zur Anzeige zu bringen? Insofern erfüllt Hoeneß genau jene Vorbild-Funktion, die ihm gehässige Kommentatoren gemeinerweise entziehen wollten. Ein Musterbeispiel an gesellschaftlicher Fairness, wie uns ein Mann von „Welt“ einleuchtend erklärt: „Eine Gesellschaft ist dann fair, wenn jemand wie Hoeneß ohne Zutun von Staatsanwälten begreift, dass Schwarzfahren nicht nur in der S-Bahn, sondern auch beim Finanzamt ein Delikt ist – weil gleiches Recht für alle gilt.“ Und deshalb ist es ausgesprochen unfair, wenn ein solcher Jemand sich plötzlich exzessiv „rechtfertigen muss, einer menschlichen Schwäche erlegen zu sein“.
Die Botschaft ist klar: Menschliche Schwächlinge sind wir bei unserer Schwarzfahrt durchs Leben doch alle. Alle – durch die Bank weg. Egal, ob es sich um eine Schweizer Bank handelt oder um eine hiesige – also um eine schwarzbesessene Sitzbank in der S-Bahn. So sprach es schon der biblische Junior: Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Schein. Im konkreten Fall – den Fahrschein. (Ja, ich weiß, im Johannes-Evangelium ist nicht von einem Schein, sondern von einem Stein die Rede. Allerdings hat der biblische Johnny diese Szene etwas geschönt. Wie mir zuverlässige Augenzeugen berichtet haben, passierte folgendes. Jesus rief: „Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“. Und plötzlich flog eine ziemlich große Klamotte auf ihn zu, die ihn knapp verfehlte. Jesus wandte sich um zu der Werferin und meinte säuerlich: „Also manchmal nervst du, Mutter!“)
„Bild“ brachte die „Welt“-Sicht auf die knappe Formel: „In uns allen steckt doch ein bißchen Hoeneß.“ Was mich angeht, finde ich, daß es ruhig ein bißchen mehr Hoeneß sein dürfte als nur ein bißchen. Dann hätte ich auch ein bißchen mehr auf dem Sünden-Konto, aber das Konto wäre immerhin in der Züricher Bahnhofstrasse zuhause. Allerdings wäre das nicht ohne Risiko im nicht mehr ganz unwahrscheinlichen Fall einer Entdeckung. Wäre ich doch unbarmherziger Verfolgung ausgesetzt, gejagt und gehetzt durch eine blutrünstige Meute neidischer Underdogs. „Hatz auf Reiche“ – so schlug die „FAZ“ Alarm, schon als es vor vier Wochen off-shore im Daten-Pool zu einigen Lecks gekommen war. Als da einige linke Volksaufhetzer eine ähnlich gründliche Durchleuchtung verlangten wie sie jeder Almosen-Empfänger von den Fahndern des Job-Centers erfahre, wies die „FAZ“ kühl auf den Widersinn solcher Forderungen hin: „Völlig abwegig ist das Argument, weil jeder Hartz-IV-Empfänger gegenüber dem Staat die Hosen runterlassen müsse und seine persönlichen Verhältnisse transparent zu machen gezwungen sei, sollten jetzt auch die Daten der Reichen öffentlich zugänglich werden. Der feine Unterschied ist: Sozialhilfeempfänger wollen Staatsgeld, das vorher den Reichen abgeknöpft wurde.“ Verständlich: Nachdem die Reichen so brutal abgeknöpft wurden, geben sie sich zugeknöpft, was den kläglichen Rest ihrer vor dem Fiskus geretteten Millionen angeht.
Jede Begehrlichkeit nach mehr Transparenz bringt die „FAZ“ auf die Palme, die da off-shore so verlockend wedelt. Egal, ob Cayman oder Virgin Islands: „Am Geschäftsmodell kleiner Staaten ist nichts verwerflich. Es ist ihre Sache, welche Steuersätze sie Personen und Firmen auf ihrem Hoheitsgebiet erlassen.“
Auf derselben Internet-Seite von faz.net, auf der dieser Kommentar zu lesen ist, finden sich paradiesische Anzeigen. Zum Beispiel diese: „Offshore Firma gründen – Gründung einer Limited Ltd – Jetzt kostenloser Namens-Check!“ Oder auch: „Best Offshore Banks – Compare Best £/$/€ Savings – Apply directly online“.
FAZ: Dahinter steckt immer ein kleines Eiland...
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