Die Drohung bleibt:
„Wir sind das Volk!“
Nr. 593 – vom 8. November 2013
Von meiner Dichter-Datsche im nahen Osten habe ich gelegentlich schon berichtet. Die liegt irgendwo im Erzgebirgischen. Mit den um mich herum hausenden Bergbewohnern komme ich meist gut zurecht und die wohl auch mit mir. Unsere gemeinsamen Sommerfeste waren stets ein nachbarschaftliches Vergnügen. Allerdings hatte ich gleich bei der ersten Einladung klargemacht: „Wenn hier irgendwer die NPD oder andere Neonazis wählt, kann er sich gleich wieder vom Acker machen.“ Natürlich sind alle geblieben, weil in unserem sächsischen Wahlbezirk natürlich niemand die NPD wählt. (Seltsamerweise hat sie bei der letzten Landtagswahl dennoch 9,7 Prozent der Stimmen bekommen.)
Ich erzähle das deshalb, weil etwas weiter entfernt, in dem kleinen Städtchen Schneeberg, der braune Mob mal wieder munter am Agieren war: Die NPD hatte zu einem Fackelzug aufgerufen, um einem Häuflein von Asylanten heimzuleuchten, die dort außerhalb des Ortes abgeschottet hinter Stacheldraht in einer alten Kaserne hausen. Etwa 2000 deutsche Mitbürger waren dem NPD-Aufruf gefolgt, um ihrer vaterländischen Sorge ums Volksganze lebhaften Ausdruck zu geben. Im erzgebirgischen Volksmund hört sich das dann so an: „Wir wer’n hier doch total überfremdet von die Kanacken.“
Das Problem ist eben nur, daß man diese Überfremdung nicht so richtig wahrnimmt, weil viel zu wenige von diesen Kanacken da sind. Der Anteil von Ausländern an der sächsischen Bevölkerung beträgt noch nicht einmal drei Prozent. Da musste man schon früher die Ausländer mit der Fackel suchen. Und wenn man sie dann fand, wurde nicht mehr lange gefackelt. Das begann schon in Wende-Zeiten, als „das Volk“ im Osten plötzlich „ein Volk“ werden wollte. Ich erinnere mich noch gut an die großen nationalen Zusammenrottungen kurz nach der Wende in Leipzig und Dresden, als die Leute, um auf die Straße zu gehen, keinen Mut mehr brauchten, sondern nur noch Helmut.
Ich habe damals in Leipzig jugendliche Freiheitskämpfer erlebt, die nach der Kundgebung ihren Freiheitsdrang auch den vietnamesischen Gast-Studenten mitteilen wollten – liebevoll „Fidschis“ genannt. Das Problem war allerdings: Seit diese Freiheitskämpfer auf ostdeutschen Straßen unterwegs waren, wagten sich die dort noch vereinzelt lebenden Ausländer kaum hinaus. Und das war natürlich schade, denn da sie dauernd drinnen hockten, kriegten sie ja nichts mit von der neuen deutschen Bewegungsfreiheit. Deshalb ertönt stets von Neuem der gastfreundliche Ruf: ”Ausländer raus!”
Und wenn die Ausländer dieser Einladung folgten und sich auf die Straße wagten, dann lernten sie dort endlich die neue Bewegungsfreiheit kennen, wenn die deutschen Jungs mit ihnen Einkriegen spielen. Hei, wie die dann um die Ecken flitzten...
Doch zurück in die deutsche Neuzeit und ins traute Städtchen Schneeberg: Der NPD-Vorsitzende des heimischen Gaues, ein smarter Mittelstands-Knabe, haspelte sich auf dem Podium durch seine vorgestanzte Rede, in der viel vom unbeugsamen Willen des deutschen Volkes die Rede war, dass das deutsche Volk in Deutschland deutsch bleiben wolle – und zwar so deutsch, wie es deutscher nicht geht. Das wurde auch stellenweise müde beklatscht. Nur einmal kriegte seine Ansprache einen fast leidenschaftlichen Sound. Er schrie ins Mikrofon: „Wenn sich die Politiker von früh bis abends lieber mit der Verhätschelung der Asylbewerber befassen statt sich um das eigene Volk zu kümmern...“
Weiter kam er nicht. Frenetischer Jubel brach aus. Und plötzlich skandierte die Menge: „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“
Später las man in einigen Berichten, dass hier ein Ruf der friedlichen November-Revolution pervertiert worden sei. Das mag schon sein, aber schließlich haben die Pervertierten ja recht: Die sind das Volk! Zumindest das Volk von Schneeberg. Aber dieses Volk ist ebenso in Hellersdorf und anderswo zu Hause.
(In der Ferne konnte sich ein Grüppchen von Gegendemonstranten hinter der Polizei-Absperrung kaum bemerkbar machen. Ein wackeres Völkchen, wahrlich. Auch dem wurde die bedrohliche Auskunft der Mehrheit zuteil: Wir sind das Volk!)
Ich fragte mich unwillkürlich: Wie wird es damals vor 75 Jahren in Schneeberg gewesen sein, als die November-Pogrome begannen? Was hat sich da wohl in diesem beschaulichen Örtchen im grauen Vorgebirge getan in jener Nacht, als die deutschen Juden endgültig erfuhren, dass „Wir“ ein ganz anderes Volk sein wollten als sie? Die Volks-Akteure von heute könnten ohne Weiteres auch die von gestern sein. Das Schlimme ist: Diese Ewig-Gestrigen sind noch heute „das Volk“ in vielen östlichen Landstrichen.
„Wir sind, was volkt“ – so habe ich mein Buch nach der Wende genannt. Und ich beharre weiterhin hartnäckig darauf, dass „das Volk“ nicht das meine ist. Ein für allemal, klipp und klar:
ICH BIN KEIN VOLK!
+++
Von meinem Nach-Werde-Opus „Wir sind, was volkt“ sind noch wenige Exemplare erhältlich. Näheres hier.
+++
PS: Wenn Sie mich nicht nur lesen, sondern mich auch erleben möchten, und zwar mit meinem neuen Programm "Macht!Menschen", dann empfehle ich folgende Termine:
Freitag, 8. November, in der Alten Schulscheune in Diensdorf-Radlow.
Sonnabend, 9. November, in der Kulturscheune Ferch.
Freitag und Sonnabend, 15. und 16. November, im Nürnberger Burgtheater.
Sonntag, 24. November, in den Wühlmäusen in Berlin.
Ich erzähle das deshalb, weil etwas weiter entfernt, in dem kleinen Städtchen Schneeberg, der braune Mob mal wieder munter am Agieren war: Die NPD hatte zu einem Fackelzug aufgerufen, um einem Häuflein von Asylanten heimzuleuchten, die dort außerhalb des Ortes abgeschottet hinter Stacheldraht in einer alten Kaserne hausen. Etwa 2000 deutsche Mitbürger waren dem NPD-Aufruf gefolgt, um ihrer vaterländischen Sorge ums Volksganze lebhaften Ausdruck zu geben. Im erzgebirgischen Volksmund hört sich das dann so an: „Wir wer’n hier doch total überfremdet von die Kanacken.“
Das Problem ist eben nur, daß man diese Überfremdung nicht so richtig wahrnimmt, weil viel zu wenige von diesen Kanacken da sind. Der Anteil von Ausländern an der sächsischen Bevölkerung beträgt noch nicht einmal drei Prozent. Da musste man schon früher die Ausländer mit der Fackel suchen. Und wenn man sie dann fand, wurde nicht mehr lange gefackelt. Das begann schon in Wende-Zeiten, als „das Volk“ im Osten plötzlich „ein Volk“ werden wollte. Ich erinnere mich noch gut an die großen nationalen Zusammenrottungen kurz nach der Wende in Leipzig und Dresden, als die Leute, um auf die Straße zu gehen, keinen Mut mehr brauchten, sondern nur noch Helmut.
Ich habe damals in Leipzig jugendliche Freiheitskämpfer erlebt, die nach der Kundgebung ihren Freiheitsdrang auch den vietnamesischen Gast-Studenten mitteilen wollten – liebevoll „Fidschis“ genannt. Das Problem war allerdings: Seit diese Freiheitskämpfer auf ostdeutschen Straßen unterwegs waren, wagten sich die dort noch vereinzelt lebenden Ausländer kaum hinaus. Und das war natürlich schade, denn da sie dauernd drinnen hockten, kriegten sie ja nichts mit von der neuen deutschen Bewegungsfreiheit. Deshalb ertönt stets von Neuem der gastfreundliche Ruf: ”Ausländer raus!”
Und wenn die Ausländer dieser Einladung folgten und sich auf die Straße wagten, dann lernten sie dort endlich die neue Bewegungsfreiheit kennen, wenn die deutschen Jungs mit ihnen Einkriegen spielen. Hei, wie die dann um die Ecken flitzten...
Doch zurück in die deutsche Neuzeit und ins traute Städtchen Schneeberg: Der NPD-Vorsitzende des heimischen Gaues, ein smarter Mittelstands-Knabe, haspelte sich auf dem Podium durch seine vorgestanzte Rede, in der viel vom unbeugsamen Willen des deutschen Volkes die Rede war, dass das deutsche Volk in Deutschland deutsch bleiben wolle – und zwar so deutsch, wie es deutscher nicht geht. Das wurde auch stellenweise müde beklatscht. Nur einmal kriegte seine Ansprache einen fast leidenschaftlichen Sound. Er schrie ins Mikrofon: „Wenn sich die Politiker von früh bis abends lieber mit der Verhätschelung der Asylbewerber befassen statt sich um das eigene Volk zu kümmern...“
Weiter kam er nicht. Frenetischer Jubel brach aus. Und plötzlich skandierte die Menge: „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“
Später las man in einigen Berichten, dass hier ein Ruf der friedlichen November-Revolution pervertiert worden sei. Das mag schon sein, aber schließlich haben die Pervertierten ja recht: Die sind das Volk! Zumindest das Volk von Schneeberg. Aber dieses Volk ist ebenso in Hellersdorf und anderswo zu Hause.
(In der Ferne konnte sich ein Grüppchen von Gegendemonstranten hinter der Polizei-Absperrung kaum bemerkbar machen. Ein wackeres Völkchen, wahrlich. Auch dem wurde die bedrohliche Auskunft der Mehrheit zuteil: Wir sind das Volk!)
Ich fragte mich unwillkürlich: Wie wird es damals vor 75 Jahren in Schneeberg gewesen sein, als die November-Pogrome begannen? Was hat sich da wohl in diesem beschaulichen Örtchen im grauen Vorgebirge getan in jener Nacht, als die deutschen Juden endgültig erfuhren, dass „Wir“ ein ganz anderes Volk sein wollten als sie? Die Volks-Akteure von heute könnten ohne Weiteres auch die von gestern sein. Das Schlimme ist: Diese Ewig-Gestrigen sind noch heute „das Volk“ in vielen östlichen Landstrichen.
„Wir sind, was volkt“ – so habe ich mein Buch nach der Wende genannt. Und ich beharre weiterhin hartnäckig darauf, dass „das Volk“ nicht das meine ist. Ein für allemal, klipp und klar:
ICH BIN KEIN VOLK!
+++
Von meinem Nach-Werde-Opus „Wir sind, was volkt“ sind noch wenige Exemplare erhältlich. Näheres hier.
+++
PS: Wenn Sie mich nicht nur lesen, sondern mich auch erleben möchten, und zwar mit meinem neuen Programm "Macht!Menschen", dann empfehle ich folgende Termine:
Freitag, 8. November, in der Alten Schulscheune in Diensdorf-Radlow.
Sonnabend, 9. November, in der Kulturscheune Ferch.
Freitag und Sonnabend, 15. und 16. November, im Nürnberger Burgtheater.
Sonntag, 24. November, in den Wühlmäusen in Berlin.