Bekenntnisse

Warum die USA nicht
auf der Krim einmarschieren

Nr. 613 – vom 8. März 2014
Wer blickt bei dem, was derzeit auf der Krim passiert, eigentlich noch durch? Sind die dortigen Russen echte Russen oder nachgemachte Ukrainer? Sind die Krim-Bewohner überhaupt echte Ukrainer oder nur unechte Möchtegern-Russen? Sind die Europäer echte Helfer oder stören sie nur die ger-echten Amerikaner? Sind die ukrainischen Nationalisten, die jetzt mit an die Macht streben, echte Faschisten oder nur ganz gewöhnliche Antisemiten? Ist Julija Tymoschenko, die mit dem Heiligenschein Umzopfte, eine echte Demokratin oder nur eine widergeborene BDM-Führerin? Ist der Preisboxer Klitschko, der kaum ukrainisch spricht, eine echte politische Figur oder nur eine Erfindung der Bild-Zeitung?

Fragen über Fragen. Man weiß es echt nicht. Nur eines steht fraglos fest: Zumindest Wladimir Putin ist echt. Und zwar ist er ein echter, lupenreiner Völkerrechtler. Das haben ihm seine total unabhängigen juristischen Berater vollinhaltlich bestätigt. Der amerikanische Außenminister ist allerdings nicht minder echt. Nach der Methode „Cash and Kerry“ hat er gerade für die Ukraine drei Milliarden Dollar lockergemacht, um weitere Einmischungsversuche in die inneren ukrainischen Angelegenheiten zu verhindern – insbesondere vonseiten der fucking EU. Dem Putin ließ er von seinem Präsidenten ausrichten, dass es völkerrechtswidrig sei, einfach so in ein fremdes Land einzumarschieren. Das hat den russischen Präsident natürlich schwer beeindruckt. Schließlich weiß er, dass die Amerikaner erfahrene Experten sind – zumindest was das Einmarschieren in fremde Länder angeht. Wobei sie bei solchen Einmärschen immer einen großen Bogen um das Völkerrecht gemacht haben. Schließlich wollten sie es nicht aus Versehen verletzen.

Auch unsere Kanzlerin hat dem Putin gegenüber bedrohlich mit dem Finger gewackelt – allerdings nur am Telefon, so dass er es nicht sehen konnte. Dennoch soll er sich mächtig erschrocken haben. Sie hat ihm nämlich ebenfalls mitgeteilt – und zwar als erste – mit der „unakzeptabelen russischen Intervention auf der Krim gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben”. In Sachen Krieg und Frieden ist die Kanzlerin eine unerbittliche Mahnerin. Wir erinnern uns noch alle, wie sie einst beim Beginn des zweiten Irak-Krieges als Friedensengel in Washington einschwebte. Allerdings war sie damals noch nicht an der Regierung. (Ja, liebe Kinder, da guckt ihr jetzt ganz ungläubig, wenn Onkel Martin so etwas erzählt; aber es gab tatsächlich mal eine graue Vorzeit – lang, lang ist’s her –, als unsere gute Queen Angela noch nicht auf ihrem angestammten Thron saß.) Zu der Zeit war sie nur die Oppositionsführerin. Deshalb kann man eigentlich vergessen, was sie damals gesagt hat, zumal sie nicht nur in Opposition zu Gerhard Schröder war, sondern auch zu sich selbst. Allerdings opponierte sie nicht gegen die damalige Angela Merkel, sondern gegen die heutige Angela Merkel. Die hätte nämlich niemals und never beim Irak-Krieg der Amerikaner mitgemacht. Sie haben da vielleicht ihre Zweifel, doch ich habe die Information aus ganz sicherer Quelle. Das hat nämlich die Kanzlerin selbst gesagt in einem späteren Wahlkampf; und wenn sie so etwas im Wahlkampf sagt, dann muss es ja wohl stimmen.

Im Kriegsfrühling 2003 war das ein bisschen anders. Als Kanzler Schröder den Doubleyou Bush schnöde im Stich ließ, kroch Merkel noch in breiter Schleimspur an dessen Seite – und zwar in unverbrüchlicher Freundschaft (das hatte sie früher mal in einem anderen Zusammenhang gelernt, als sie noch eine blaue Bluse trug). Voller Begeisterung rief sie: „Kriech! Kriech!“ In der „Washington Post“ schrieb sie Anfang März 2003 einen Artikel unter ihrem Namen mit der Überschrift: „Schröder spricht nicht für alle Deutschen“. Und Mitte März desselben Jahres, als die US-Regierung Saddam Hussein ultimativ aufgefordert hatte, binnen Tagen das Land zu verlassen, forderte Merkel ihrerseits die deutsche Regierung zur kriecherischen Kooperation auf. In der ARD sagte sie in ihrer entzückend gewundenen Art: „Wenn wir das Ultimatum unterstützen, dann impliziert das natürlich alle Folgen, die sich aus einem solchen Ultimatum ergeben.“ Und: „Wir dürfen uns nicht wegducken.“ Als der US-Einmarsch dann erfolgte, befand sie: „Man hatte einen Punkt erreicht, an dem Krieg unvermeidbar geworden war. Bei einem Nichthandeln wäre der Schaden noch größer geworden.“

Aber das sind olle Kamellen. Da sollte man jetzt nicht nachtragend sein. Außerdem besteht ja ein gravierender Unterschied zwischen der damaligen US-Invasion und der heutigen russischen Intervention. Die Amerikaner sind damals nämlich in den Irak einmarschiert – und nicht auf die Krim. Auf die Idee wären sie nie gekommen, denn das wäre ja eindeutig völkerrechtswidrig gewesen.

Allerdings gesellt sich da unvermutet eine weitere offene Frage zu all den anderen: Ist unsere Kanzlerin eigentlich noch ganz echt?


PS. Und mich erleben Sie „in echt“ am morgigen Sonntag ab 18 Uhr in der „Distel“ am S-Bahnhof Friedrichstrasse. Wenn Sie diese Kolumne ausdrucken und an der Kasse vorlegen, gibt’s eine Ermäßigung von 3 € pro Karte.