Bekenntnisse

To be Charlie ­or not to be?
oder: Darf Satire alles?

Nr. 634 – vom 15. Januar 2015
Ich fang’s mal witzig an (was ja ansonsten nicht meine Art ist). Also kennse den, wo die hanseatische Klein-Erna an der Hand ihrer Mutter vor einem Fischgeschäft steht und immer wieder in ein Fass mit Heringen spuckt, das vor dem Laden steht… Da kommt ein Wanderer des Wegs und erkundigt sich bei der Erziehungsberechtigten, ob sie das Kind dazu befugt habe: „Darf dat dat?“ Die Mutter antwortet schnippisch: „Dat darf dat!“ Wundert sich der Wanderer: „Dat dat dat darf!“

Womit wir mal wieder bei einem bestimmten französischen Satire-Blatt sind, bei dem sich nicht nur mancher Mullah wunderte, dat dat dat darf. Also: Was darf Satire? Die Frage wurde mir nach den Morden in Paris von mehreren Zeitungen gestellt ­– wie anderen Kabarett-Kollegen und Karikaturisten auch. Nachdem ich in der letzten Woche mit meiner „Ich-bin-nicht-Charlie“-Kolumne mal wieder in ein Shitstürmchen geraten bin – umfurzt in etlichen Mails, teilweise auch auf facebook – weiß ich: Satire darf vor allem eines. Sie darf gründlich missverstanden werden. Das gehört bei meinen Ver-Schreibungen nun einmal zu den Risiken und Nebenwirkungen. Dazu befragen Sie am besten einen benachbarten Arsch oder Ihren Neben-Theker in der Kneipe.

Was darf Satire? Satire heißt – zumindest für mich: Kritische Fragen an die Gesellschaft (also auch an mich selbst) so zuzuspitzen, bis ich sie überspitzt auf den Punkt getrieben habe – auf den Point, auf die Pointe. Und wohlgemerkt: Dieser Punkt steht nicht unter einem Ausrufezeichen, sondern unter einem Fragezeichen. Satire ist nun einmal grundsätzlich frag-würdig. Ich bin kein Besser-Wisser, sondern bestenfalls ein Besser-Frager. Ich bin kein Überzeugungstäter, kein Prediger, der mit erigiertem Zeigefinger von der Bühne herab auf sein Publikum einknüppelt. Ich mag es nicht, wenn von oben herab die Kolonnen der Ausrufezeichen stramm in den Saal hinuntermarschieren. Ich halte es mehr mit den Fragezeichen, diesen gekrümmten Wider-Häkchen, die sich vielleicht hier und da im Hirn festhaken, um produktiven Zweifel hervor zu kitzeln. Zweifel möglicherweise auch an dem, was ich so von mir gebe.

Dieses satirische Nachfragen setzt erst einmal Recherche voraus. Mehr als 20 Jahre habe ich als Reporter und Redakteur gearbeitet; da geht einem die Suche nach dem Hintergrund der vordergründigen Ereignisse zwar nicht in Fleisch und Blut über, aber doch in Hirn und in die (zuweilen dort anwesenden) Zellen. Bevor ich eine Frage stelle, muss ich ziemlich genau wissen, wonach ich frage, also was ich in Frage stelle. Diese Art des journalistischen Kabaretts ist von den jetzigen Kollegen der ZDF-„Anstalt“ auch für das Fernsehen neu aktiviert worden; dafür gebührt ihnen Respekt und Dank.

So! Und jetzt noch mal ernsthaft: Darf Satire wirklich alles? Zumindest eines darf sie nicht. Nämlich zum Abschuss freigegeben werden für irgendwelche Fanatiker. Und auch dem Urteil staatlicher Zensoren oder hosenschissiger Programmdirektoren darf sie möglichst nicht anheimfallen, weil es sie dann nicht mehr gibt. Ansonsten ist sie des kritischen Urteils durchaus bedürftig. Satire ist nun mal zugespitzte Kritik. Wie absurd, wenn sie sich nicht selbst der Kritik aussetzen würde. Was also darf Satire? Darf eine Zeitschrift, wie in „Charlie Hebdo“ mehrfach geschehen, aus purer Lust an Provokation und Tabu-Brecherei kotzüble Zeichnungen bringen, wo zum Beispiel eine dunkelhäutige französische Ministerin als Affenweib an Urwald-Lianen herumhangelt. Sicherlich, das waren Ausnahmen. Aber soll das Satire sein, wenn rassistische Vorurteile nachgezeichnet werden statt sie radikal ein für allemal als Dumpfsinn aus-zuzeichnen?

Apropos: Mit ähnlicher Aff-inität wurden nach dem Mord an Benno Ohnesorg im Juni 1967 auch rebellierende Studenten gorilla-ähnlich in der Springer-Presse portraitiert, wobei sich in der „Berliner Morgenpost“ besonders der Zeichner „-zel“ (Hans Joachim Stenzel) hervortat. Unter der imperativen Überschrift „Unruhestifter ausmerzen!“ sah man dann von ihm "karikierte" langhaarige Protest-Figuren, die eindeutig vom Planet der Affen abstammten. Im Februar 68 protestierten dann vor den Rathaus Schöneberg etwa 80.000 Human-Berliner gegen diese urwäldlichen Horden (Berliner gegen die Primatisierung des Abendlands – BEGEPRIDA; war damals aber noch nicht urheberrechtlich geschützt). Dabei hielten etliche Angehörige der Gattung homo non sapiens auf Papptafeln solche affigen Karikaturen von „-zel“ und anderen in die Kameras. Auf Spruchbändern las man dazu: „Teufel, Langhans in den Zoo!“ Oder in schönster deutscher Lyrik: „Lasst Bauarbeiter ruhig schaffen. Kein Geld für langbehaarte Affen!“

Ich war zu der Zeit als junger Reporter dabei und habe erlebt, wie die Hysterie aufgehetzter West-Rentner einem jungen Mann fast das Leben gekostet hätte, weil die aufgeputschte Menge ihn für Rudi Dutschke hielt. Die Leute waren wild darauf, den Affen zu lynchen. Der Einsatzleiter der Polizei stand irgendwo hundert Meter weiter. Ich kannte ihn aus meinen Volontärs-Anfängen, als ich noch als Polizeireporter meine sehr kargen Brotkrumen verdiente. Ich habe in dieser Situation vor ihm gestanden und ihn hilflos heulend angefleht, den Mann doch endlich zu retten, der sich vor dem Pöbel in ein Tabakgeschäft geflüchtet hatte. Der Einsatzleiter hat nur gegrinst. Der ohnmächtige und zugleich tobsüchtige Hass, der in diesen Momenten wie rasend meine Innereien in Bauch und Hirn überschwemmte, macht mich noch heute schauern – und schaudern vor mir selbst. Bei so viel staatlich geduldeter Blindwütigkeit wäre ich selbst fast zum blindwütigen Terroristen geworden. Es hat wirklich nicht viel gefehlt.

Tschuldjunk. Ich bin abgeschwiffen in eine graue Vorzeit. Aber ich schweife noch weiter zurück in Sachen Satire und Karikatur. Die deutsche Pressegeschichte hat eine üble Vorgeschichte in Sachen mörderischer Karikaturen. In fast jeder Ausgabe des „Stürmer“ – einer NS-Wochenzeitung, die von 1923 bis zum Februar 1945 unter dem Titel-Motto „Die Juden sind unser Unglück“ erschien – hatte ein Karikaturist unter dem Pseudonym „Fips“ seinen Stammplatz. In seinen Zeichnungen war es immer wieder der krumm-nasige, fett-aufgedunsene, wulstig-lippige, glotz-äugige, kinderblut-saugende, arische Jungfrauen schändende Drecksjude, der das deutsche Abendland zu überjuden versuchte.

Diese Karikaturen, diese Ver-Zeichnisse von ausgesonderten Unterdeutschen erfüllten ihren propagandistischen Zweck: Der so gezeichnete „Jude“ wurde damit ge-Kennzeichnet und zugleich selektiert. Im Namen der Meinungsfreiheit wurde er frei-gegeben für den Weg in die Gaskammern. Der Zeichner „Fips“ – mit Klarnamen: Philipp Rupprecht – wurde nach 1945 von den Amerikanern als ein „Hauptschuldiger“ verurteilt. Ein Karikaturist im Knast? Ist das mit der Pressefreiheit eigentlich vereinbar? Natürlich nicht. Deshalb kam er auch bald wieder frei und lebte bis zu seinem natürlichen Tode als angesehener und hochgeschätzter Kunstmaler in Starnberg und München.

Diese Reminiszenz hat jetzt nichts mit „Charlie Hebdo“ zu tun, einem Blatt, dass sich trotz mancher tabu-kotzigen Brutalität stets gegen Nazis der französischen Neo-Sorte stark gemacht hat. Aber natürlich hat diese Rückblende etwas zu tun mit der wieder mal aktuellen Frage: Was darf Satire? Sie kennen sicherlich Tucholskys vielzitierte „Alles“-erklärende Antwort aus dem Jahre 1919, wobei auch er in jenem Grundsatz-Artikel erst einmal klare Einschränkungen machte, was Satire alles nicht sei.

Also: Darf Satire alles? Ich habe keine mich überzeugende Antwort. Mal wieder ein Fragezeichen. Mal wieder eine Frage, die ich einsam im Raum stehen lasse.