Bekenntnisse

Nachspiel zur Berliner Demo:
Das Volk hat in Europa
überhaupt nichts zu suchen

Nr. 656 – vom 15. Oktober 2015

Da waren am letzten Sonnabend Hunderttausende von Bundesbürgern auf den Beinen – sie liefen an gegen eine europäisch-amerikanische Geschäftspolitik, die zum Zwecke des internationalen Geschäftemachens die nationalen Parlamente und damit uns alle als Wähler entmündigen soll.

Und wieder erlebe und erlese ich das, was ich früher (besonders im vorigen Jahrtausend) bei vielen Demonstrationen in Bonn und Berlin erlebt habe: Nicht nur, dass die Polizei-Führung regierungs-brav die Zahl der Teilnehmer herunterrechnet – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Nicht nur, dass „spiegel-online“ und „Welt“ mit ein paar manipulativen Schmuddel-Tricks die Demonstranten als Quasi-Pegida-Mitläufer denunzierten. Nicht nur, dass die meisten Medien, egal ob geprintet oder ongelined, eine der größten Demonstrationen seit Jahrzehnten bestenfalls unter „ferner liefen“ vermeldeten. Alles wie gehabt!

Hätten sich zum Beispiel am gleichen Tag ein paar hundert Leute in Moskau versammelt, um gegen Putin zu protestieren, wären ihnen die Schlagzeilen sicher gewesen. Aber das wäre natürlich auch etwas ganz, ganz anderes gewesen: Eben, weil es sich in Moskau um eine lupenreine Demokratiebewegung gehandelt hätte, während die Berliner Manifestation gegen den Ausverkauf der parlamentarischen Souveränität überhaupt nichts mit Demokratie zu tun hatte. Oder falls doch, dann hat eine solche Art von Demokratie im vereinten Europa nichts zu suchen.

Die für die geheimen TTIP-Verhandlungen verantwortliche EU- Kommissarin Cecilia Malmström hat das neue europäische Demokratie-Verständnis in einem Gespräch mit der britischen Zeitung „Independent“ noch einmal klipp-und-klar gestellt. Der Interviewer konfrontierte sie mit den (bislang) weit über drei Millionen Protest-Unterschriften gegen die Freihandels-Abkommen und mit der demonstrativen Opposition von 250.000 Menschen in Berlin. Die eiskalte Reaktion der Polit-Kommissarin war knapp, nur zehn Wörter umfassend: „I do not take my mandate from the European people.“ Ungefähr übersetzt: Mein Mandat habe ich nicht von der europäischen Bevölkerung erhalten.

Klar, das Mandat haben andere erteilt: Die Europäische Kommission macht auch kein Geheimnis daraus, dass es die Industrie-Lobbies sind (hauptsächlich „Business Europe“ und „European Services Forum“), die die Vorlagen für die Vertragstexte lieferten. Da kann „the European people“ noch so viel protestieren. Die EU ist doch nicht für irgendwelche popligen Peopels zuständig, die sich plötzlich volks-herrschaftlich aufspielen.

Seit wann hat denn die EU-Kommission mit diesem Volk in Europa irgend etwas zu tun? „The European people“ ist bei diesen Kommissaren längst abgeschrieben, selbst wenn da Abermillionen an Protesten unterschrieben werden. Und von einem abgeschriebenen Volk lässt man sich doch nichts vorschreiben. Dazu hat dieses Volk schließlich überhaupt kein Mandat.

Tscha, und weil das so ist, müssen wir uns dieses Mandat eben nehmen. Rein kommissarisch, versteht sich. Oder – um es im korrekten EU-Englisch zu formulieren: Let’s take our mandate from ourselves!

PS. Übrigens: Am 25. Oktober, also am übernächsten Sonntag, stehe ich in Leipzig mal wieder auf der Bühne – um 20 Uhr in der „Pfeffermühle“ – mit dem neuen Programm „Denkste?!"