Die Kernfrage in der Flüchtlingskrise:
Wohin flüchtet Angela Merkel?
Nr. 657 – vom 16. Oktober 2015
Der Papst und die deutsche Kanzlerin machen zur Zeit eine ähnliche, für sie überraschende Erfahrung: Gegen ihre bislang unumstrittene sankrosankte Unantastbarkeit formiert sich plötzlich in ihren eigenen Reihen eine lautstarke Opposition, der nichts mehr heilig ist. Gegen den römischen Spontifex Maximus hat sich gerade eine erz(bischof)reaktionäre Allianz von Furienkardinälen in Stellung gebracht, um den Peters-Condom zu bewahren als traditionelles Reform-Verhüterli. Und gegen die uckermärkische Pfarrerstochter meutert inzwischen fast das ganze christliche Abendland, das bekanntlich weitgehend in Sachsen, aber auch in bayrischen CSU-Diozösen angesiedelt ist.
Seit der angelesken Ex-cathedra-Verkündung „Wir schaffen das“ wächst in der Unions-Christenheit die Zahl der Nicht-mehr-Gläubigen rapide. Merkels erneute Energiewende – hin zu mitmenschlich positiver Energie mit freundlichem Gesicht – war für viele ihrer Anhänger denn doch zu heftig. Plötzlich predigte sie den frommen Sermon der Nächstenliebe. Das war für alle total verblüffend nach ihren jahrelangen griechisch-orthodoxen Exerzitien in Sachen dogmatischer Unerbittlichkeit.
Die krachlederne Reaktion des bajuwarischen Stammesführers kam prompt. Seehofer ließ an seinem unumstößlichen Credo keinen Zweifel – nämlich, dass er sich selbst der Nächste sei und dass er nur diese Art der Nächstenliebe als wahrhaft rechtes Glaubensbekenntnis dulde. Als bekennender Südstaatler droht er zudem offen mit einem Sezessionskrieg, falls nicht unverzüglich die Grenzen abgeschottet werden. Dabei kann er mit der vollen Unterstützung der benachbarten sächsischen Stämme rechnen, die schon seit Langem dafür kämpfen, endlich wieder in innerer Sicherheit leben zu können hinter Grenzzaun und Stacheldraht.
Da half auch nicht, dass sich die regierende Hohepriesterin in dieser Woche selbst tollkühn ins Sächsische wagte, um dort in Schkeuditz zu den einstmals Gläubigen ihrer Unions-Gemeinde zu sprechen. Auf einer „Zukunftskonferenz“ (so der bedrohliche Titel der Veranstaltung) bewiesen die anwesenden christlichen Abendländler einmal mehr, wie unsinnig der Versuch sei, ihnen ein christliches Menschenbild in die Schrumpfhirne zu implantieren.
Einer der Abendland-Retter hielt unentwegt ein Transparent in alle Kameras: „Deutsche Kultur + Werte erhalten!“ stand da zu lesen. Und darunter in Riesenlettern: „MERKEL ENTTHRONEN!“
Und gewiss gibt es etliche in der mittlerweile eher widerwilligen Merkel-Gefolgschaft, die mit dem Dolch im Gewande um sie herumschleichen. Aber zu mehr als zu kleineren Sticheleien hinter ihrem Rücken reicht es denn doch nicht. Denn das Problem bei jeder christdemokratischen Merkel-Meuchelei wäre ja, das man nach einer möglichen Entthronung niemanden hätte zwecks nachfolgender Bethronung. Die CDU kann nun mal nicht ohne Merkel. Umgekehrt gilt das nicht: Merkel könnte sehr wohl ohne die CDU.
Wenn Seehofer und die Seinen sie weiterhin so gnadenlos politisch verfolgen wie in den letzten Wochen, ist das nächste Flüchtlingsdrama schon vorprogrammiert. Dann flüchtet die Merkel wendewillig, wie sie nun mal ist, mal eben schnell zur SPD und fordert dort politisches Asyl. Und ich bin sicher: Man wird sie mit offenen Armen aufnehmen – im Zeichen der typisch sozialdemokratischen Willkommenskultur, mit der man schon bislang fast allen Wünschen der Kanzlerin entgegen gekommen ist. Endlich wäre man bei der SPD die quälende Sorge der Kanzlerkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl los. Und inhaltlich brauchte sich die Partei auch nicht zu ändern. Sie müsste nur bleiben, wozu sie schon längst geworden ist – ein Verein zur Wiederwahl von Angela Merkel.
PS. Falls hier der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde einem verhaltenen Anti-Bajuwarismus frönen, so weise ich diesen Eindruck ausdrücklich zurück. Im Gegenteil: Ich bin den Bayern dankbar, dass es sie gibt. Als ich mich beim Schreiben meines gerade erschienenen satirischen Lexikons durch das Alphabet gearbeitet habe, um jeden Buchstaben zu bedienen, stand ich beim Y vor einem Problem. Wie froh war ich, als ich dann das maskuline Y-Chromosom im Bayrischen entdeckte. Denn wozu braucht man sonst noch ein Y – außer für Youtube und Youporn und eben für Bayern, also ausschließlich für auswärtige Erscheinungen. Näheres finden Sie in meinem Machwerk „Missverstehen Sie mich richtig“ – hier signiert zu bestellen.