Das Märchen vom Kaiser Franz
Nr. 658 – vom 19. Oktober 2015
Es war einmal in einer nicht allzu fernen Zeit in einem nicht allzu fernen Land. Da herrschte ein berühmter Kaiser. Und der hieß Franz. Und das Volk verehrte den Kaiser Franz gar sehr, obwohl er gar kein richtiger Kaiser war, sondern nur so genannt wurde. Aber das machte nichts, denn dafür war der Kaiser Franz etwas viel Größeres. Er war nämlich ein Weltmeister, wenn auch nur ein gewesener. Und zwar war er ein Weltmeister im Zutreten – mit dem Fuß auf rundes Leder. Das müsst ihr mir jetzt einfach glauben, liebe Kinder: Er war berühmt dafür, dass er einem runden Leder hinterher lief. Und wenn er es erwischt hatte, stieß er es mit dem Fuß ganz weit weg, um ihm dann wieder hinterher zu laufen. Und wenn das runde Leder dann in einem eckigen Kasten landete, riefen alle Kaiser-Treuen: „Tor! Tor!“ Ja, das klingt recht töricht, aber für solche Torheiten liebten die Leute den Kaiser Franz.
Nun ist das mit Kaisern generell so eine Sache. Sie haben nie einen anständigen Beruf gelernt und sind eigentlich zu nichts wirklich zu gebrauchen. Und auch der Kaiser Franz hatte nichts anderes gelernt als eben zuzutreten. Doch während dieser Zutreterei hatte er dann doch etwas dazu gelernt – nämlich wie man sich als berühmter Kaiser eine goldene kaiserliche Nase verdienen kann. Dafür hatte er immer den richtigen Riecher.
Und so gingen die Jahre ins Land und der Kaiser wurde älter und wurde irgendwann des Zutretens müde. Da begab es sich, dass er einen anderen früheren Zutreter traf, der auch des Zutretens längst müde war. Und der hieß Sepp, doch alle nannten ihn nur den Blatter. Und der Blatter war noch viel mächtiger als der Kaiser, obwohl er nur ein Präsident war in einem Senioren-Verein. Der Präsident sagte zum Kaiser: „Komm doch zu mir in meinen Verein. Da sitzen laute alte Zutreter, die inzwischen fußlahm geworden sind.“
„Und was macht ihr da?“, fragte der Kaiser neugierig.
„Nun“, sagte der Präsident, „wir sind die wahren Weltmeister. Denn wir herrschen über alle Zutreter dieser Erde. Und da wir nicht mehr so gut zu Fuß sind, machen wir es jetzt mit der Hand. Wo immer wir unsere Jungens zu laufen haben, halten wir hinterher die Hand auf.“ Und kichernd fügte er hinzu: „Weil wir eben Aufhälter sind und keine Zuhälter.“
Da musste auch der Kaiser Franz ganz doll lachen. „Dann will ich gerne bei Euch hinzutreten“, sprach er, „denn ein wenig Handgeld kann ich immer gebrauchen, wo meine Füße nicht mehr so wollen wie früher.“ Und seither war der Kaiser Franz ein wichtiges Mitglied in diesem Verein namens FIFA. FIFA bedeutet: Florierendes Inkassobüro fußkranker Abstauber.
Und damit, liebe Kinder, hätte das Märchen eigentlich sein Happy End haben können und mit den Worten schließen: Und da sie noch nicht gestorben sind, kassieren sie noch heute. Aber das happige Ende kommt jetzt erst: Da der Kaiser als geübter Weltmeister auch später für seinen Verein in Sachen Weltmeisterschaften viel in der Welt unterwegs war, kam er zuweilen in Länder, in denen bittere Armut herrschte. Und da der gute Kaiser ein so mitfühlendes Herz hatte, schmerzte ihn dieses Elend gar sehr. So mag es wohl sein, dass er dem einen oder anderen Bedürftigen gelegentlich ein kleines Almosen hat zukommen lassen. Und diese Ärmsten der Armen werden dann sicherlich ihren edlen Spender dankbar gepriesen haben. Vielleicht hat der eine oder der andere auch gesagt: „O du guter Kaiser Franz, wie können wir dir jemals danken? Wenn wir dir doch nur eine kleine Freude machen könnten!“ Und möglicherweise hat der Kaiser Franz dann still geseufzt: „Ach, mein Herzenswunsch wäre, dass die nächste Weltmeisterschaft in meiner Heimat stattfinden könnte. Doch diesen Wunsch könnt ihr mir ja nicht erfüllen.“
Und weil dieses ja ein Märchen ist, liebe Kinder, ist dann wahrscheinlich Folgendes geschehen: Eine Zauberfee hörte des Kaisers Seufzen und beschloss, ihn zu belohnen für seine gute Tat. Flugs verwandelte sie die armen Bedürftigen, denen der Kaiser geholfen hatte, in Mitglieder eines geheimen Rates, der über den Ort der Weltmeisterschaft zu beraten hatte. Und der Ratschluss war schließlich – oh Wunder! –, die Weltmeisterschaft in das Reich des Kaisers zu vergeben.
Und all seine freiwilligen Untertanen im Reiche jubelten dem Kaiser zu und sangen sein Hohelied. Überall herrschte eitel Freude und schwarzrotgoldener Sonnenschein einen halben Sommer lang. Und weil alles so märchenhaft wundervoll gelaufen war, sprach man fortan nur noch von einem Sommermärchen.
Doch ach, es gab auch so manche Neider im Lande, die die wundersame Geschichte nicht so recht glauben wollten, auch weil man bald getuschelte Botschaften vernahm, dass sich der Kaiser Franz inzwischen als Ehren-Scheich in einer Wüstenei namens Qatar feiern lasse. Wie viele Almosen habe er zuvor wohl verteilt, fragten gehässige Zungen. Oder habe er gar selber welche bekommen?
Und schließlich stand es in den Postillen, dass der Ratschluss für die damaligen Wettspiele im Reich des Kaisers wohl aus geheimen Schatullen vorfinanziert worden sei. Und dass der eine oder andere in diesem Rat nicht nur ein paar Münzen als Almosen empfangen hätte. Schließlich: Guter Rat ist teuer.
Nun hatte der Kaiser Franz beim diesem Blatter-Verein so manch wichtiges Amt bekleidet. In Amt und Würden hatte er sich als Würdenträger extra eine ganz exklusive Würde auf den Leib schneidern lassen, die er niemals ablegte. Doch plötzlich rief alles: „Der Kaiser ist ja nackt.“ Da war er seine Würde los und alle konnten sehen, wie würdelos er dastand.
Jedenfalls steht es so in den jüngsten Chroniken geschrieben. Aber das alles, liebe Kinder, dürft ihr nicht glauben. Das sagt auch der Kaiser Franz: Was man ihm da andichten will, ist nichts als ein ganz, ganz doofes Märchen.
Allerdings: Ein Sommermärchen ist es wohl nicht mehr.