Bekenntnisse

Buchholz läuft über zu Erdogan

Nr. 667 – vom 12. April 2016

Ein internationales Investigativ-Team ist mir auf die verräterischen Schliche gekommen, nachdem ein Whistleblower meine Briefkastenfirma in Panama geknackt hat. In diesem Briefkasten wurde nun ein streng vertrauliches Schreiben an den türkischen Staatspräsidenten entdeckt, das mich endgültig als einen Dissidenten enttarnt, der der deutschen Satire-Front den Rücken gekehrt hat. Daher muss ich mich – zumindest eine Zeit lang – auch von der Kabarett-Bühne zurückziehen: Am nächsten Sonntag, 17. März, 18 Uhr, wird mein vorerst letzter Berliner Auftritt über die Bretter der „Distel“ gehen. Danach werde ich etwa anderthalb Jahre lang warten, bis hoffentlich genügend Gras über meine türkische IM-Mission gewachsen ist. Um den Enthüllungen in der „Süddeutschen“ und im „Guardian“ zuvorzukommen, veröffentliche ich hier selber diesen Brief, der mich zumindest vorläufig meine Karriere kostet. Dies ist der ungekürzte Wortlaut:

Sehr verehrter Herr Staatspräsident Erdogan,

zunächst einmal möchte ich mich als deutscher Satiriker in aller Form bei Ihnen entschuldigen, dass Sie im deutschen Fernsehen einer Schmähkritik ausgesetzt waren, die auch noch frecherweise als „Schmähkritik“ gekennzeichnet war. Das wäre etwa so, als wenn ich die Grenzen der Meinungsfreiheit testen wollte und im böhmer-männlichen Stil unsere Kanzlerin als alternde Gesinnungshure bezeichnen würde, die auf dem türkischen Straßenstrich jeden semi-faschistischen Schwanz ablutscht. Wie gesagt, das würde ich nie tun, weil es schlicht wahrheitswidrig wäre. Erstens handelt es sich bei Ihnen, verehrter Herr Präsident, wahrlich nicht um jeden, also x-beliebigen Schwanz. Und zweitens wäre es nicht minder beleidigend, diesen Ihren Schwanz als semi-faschistisch zu bezeichnen, denn für halbe Sachen sind Sie bekanntlich nicht zu haben. Also könnte ich im Rahmen der Meinungsfreiheit so etwas gar nicht meinen, zumal mein Rechtsanwalt meint, dass ich so etwas auch gar nicht meinen dürfte. Deshalb bin ich schon aus rein juristischen Gründen in diesem Falle überhaupt nicht meiner Meinung.

Eigentlich ist in Ihrem Fall jeder Versuch einer Schmähkritik zum Scheitern verurteilt. Mir zumindest war es schon immer klar, dass es an Ihnen als lupenreinem Demokraten nichts zu kritisieren gibt geschweige denn zu schmähen. Darum: Hinfort mit dem schmählichen Schmäher aufs türkische Schafott! Den Schuldspruch hat unsere Kanzlerin schon gefällt: „Bewusst verletzend“ – das war ihr einstimmiges Urteil nach kurzer Beratung mit dem türkischen Staats-Anwalt Davutoglu, der auch als Ihr marionetter Premier fungiert. Tatsächlich war es besonders verletzend für Frau Merkel selbst, dass ihre plötzlich entbrannte Leidenschaft für Sie öffentlich-rechtlich verunglimpft wurde. Unterstellte Ihnen doch der Nicht-Regierungssprecher Böhmermann eine total angela-abstinente Libido – von wegen, dass Sie unfähig seien, sich den immer hitzigeren Schmusereien von Angela hinzugeben. Stattdessen hat er Ihnen die heftigste Tierliebe angeschmähdichtet. Ich halte das für übelste Nachrede, denn wahrscheinlich stimmt es gar nicht, wenn Böhmermann behauptet, dass Sie lieber „Ziegen ficken“, zugleich auch noch „Fellatio mit hundert Schafen“ betreiben und „dabei Kinderpornos schauen“. Ich denke, dass ein derartig erotisches Multitasking auch Ihre erstaunlichen Fähigkeiten wahrscheinlich überfordern würde. Ich hoffe, dass Sie einen solch verhaltenen Zweifel nicht als Kritik an Ihrer allmächtigen Allseitigkeit werten.

Dass Ihnen der Schmähdichter Böhmermann trotz aller zoophilen Anschuldigungen auch noch hodenlose Gemeinheiten unterstellt, macht ihn vollends unglaubwürdig. Dafür gehört er gnadenlos geköpft und kastriert (ich plädiere für die umgekehrte Reihenfolge). Zumindest meiner vorbehaltlosen Zustimmung dürften Sie in diesem exekutiven Fall gewiss sein. Die Todesstrafe für alle satirischen Erdogan-Schmäher würde mir schließlich sehr entgegenkommen, weil damit etliche unliebsame Konkurrenz mit einem Beilschlag aus dem Wege geräumt wäre.

Ich bitte Sie allerdings, lieber, verehrter Herr Präsident Erdogan, dieses Schreiben vertraulich zu behandeln. Sollte dieser dissidente Entschuldigungszettel an die Öffentlichkeit geraten, wäre das für mich extrem geschäftsschädigend, da meine Klientel weitgehend an Hardcore-Satire gewöhnt ist – zugegeben, auch durch mein eigenes Verschulden. Man hätte wohl wenig Verständnis für mein Verständnis Ihnen gegenüber. Dann wäre ich es, der plötzlich der Schmähkritik ausgesetzt wäre. Doch im kabarettistischen Untergrund arbeite ich weiterhin undercover in Ihrem Sinne, mithin im Sinne eines modernen Satire-Verständnisses, das erdoganisch getürkt ist. Ich hoffe, dass Sie das entsprechend zu honorieren wissen. Meine Konto-Nummer habe ich schon bei der türkischen Botschaft in Berlin hinterlegt.

Mit untertänigsten Grüßen bin und bleibe ich Ihr hoffentlich nicht verschmähter Diener,

Ihr Martin Buchholz

PS. Es würde übrigens hilfreich sein – schon aus Tarnungsgründen, wenn Sie auch gegen mich einen Strafantrag wegen Beleidigung stellen würden. Zumindest würde das meinen bescheidenen Weltruhm – wenn auch nur in den engen Grenzen dieser Republik – erheblich steigern.


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Die fünf letzten Möglichkeiten, Martin Buchholz auf der Bühne zu erleben:
Donnerstag, 14. 4., 20 Uhr im Theater „Tiefste Provinz“ in Kremmen
Sonnabend, 16.4., 20 Uhr, im „Scala-Kulturpalast“ in Werder
Sonntag, 17.4., 18 Uhr, in der „Distel“, Berlin
Sonnabend, 30.4., 20 Uhr, im „Kulturforum Schwielowsee“ in Ferch
Sonntag, 1. Mai, 19 Uhr, im „KulturStall“ Userin
(Einzelheiten finden Sie im Tourneeplan.)