Eine späte Rückmeldung
Nr. 680 – vom 18. April 2018
Hallo! Da bin ich mal wieder mit einer Kolumne. Ich habe ja einige Wochen lang nichts von mir hören beziehungsweise lesen lassen. Aber immerhin ist mittlerweile die DVD von meinem letzten Auftritt in der letzten Produktionsphase. Da ich mich monatelang in der Weltgeschichte herumgetrieben habe, hat sich die Herstellung verzögert, wofür ich um Nachsicht bitte. Jetzt sieht es so aus, als könnte das Machwerk spätestens in der zweiten Maiwoche verschickt werden. Also bitte noch etwas Geduld! Übrigens: Bestellungen sind immer noch möglich per E-Mail an bestellservice@martin-buchholz.de. Der zweifelhafte Spaß kostet 25 Euro inklusive Versand, aber bitte nicht im Voraus zahlen.
Erinnerung an das Früh-Links-Erwachen
Es gibt so manche Jahre, die irgendwann selbst in die Jahre kommen. Das Jahr 1968 zum Beispiel wird gerade 50 Jahre alt. Die alt-achtundsechziger Jubiläumsfeiern in den Medien werden sich noch eine Weile hinziehen – auch mit allerhand televisionären Märchenstunden.
Doch die gibt es auch im privaten Umkreis. Manchmal, wenn ich so am Abend im Schaukelstuhl am Kamin sitze, umflackert von wehmütiger Nostalgie, die Rheumadecke über die morschen Knochen gebreitet und den Katheter vorsorglich zurechtgerückt, dann hockt mir zu Füßen die Schar meiner Enkel und immer wieder beginnt die Bettelei: „Ach Großvater, erzähl doch noch mal die Geschichte von deinen Fronteinsätzen, wo du in vorderster Linie im Schützengraben gelegen hast vor dem Springer-Hochhaus, unter dem ständigen Beschuss der feindlichen Wasserwerfer.“ Ja, da steigt dem Apo-Opa ein stilles Alzheimern (Alzheimer) in die kukidente Seele. Und dämmerig kommt ihm ein Frühlingsgedicht aus alten Zeiten in den verkalkten Sinn, das er krächzend der Enkelschar vorträgt.
Der Spargel schießt. Die Bäume schlagen
ganz grundlos, aber kräftig aus.
Wer will sich aus dem Haus da wagen?
Ja, die Natur in diesen Tagen
läßt ihre Militanz voll raus.
Da bleibt kein Kopf, kein Herze kühle,
wenn alles schießt – und zwar ins Kraut.
Und voll wirft man sich ins Gewühle,
auf's Schlachtfeld heftigster Gefühle,
derweil der Lenz wild um sich haut.
So führte auch der Lenz sein Rädel
im fernen achtundsechz'ger Mai.
Da wurd's manch' Bub und auch manch' Mädel
gar revoluzzerisch im Schädel.
(Ja, Opa, der war auch dabei.)
Und einer sprach wohl zu der ander'n:
Diese Gesellschaft ist am Arsch!
Gegen den Strom woll'n wir mäandern.
Wohlauf zum frohen Unterwandern,
zum institutionellen Marsch!
Der Marsch, der zog sich. Und es ächzt sich
dahin der Unterwandersmann.
Der frühe Maientrieb verwächst sich.
Das Ziel schien klar noch achtundsechzig;
nur kam man meist woanders an.
Der Mai verging. Was soll man machen?!
So mancher Grüne wurde grau.
Einst ließ er's basisbewegt krachen.
Heut' – lang nach dem Früh-links-Erwachen –
schnarcht er spät-rechts im Überbau.