Ein schüchterner Kontaktversuch
Nr. 701 – vom 23. März 2020
Mit einem Abstand zu Ihnen von mehr als anderthalb Metern melde ich mich mal wieder zu Wort, jegliches Kontaktverbot virtuell mißachtend. Soziale Kontakte sind inzwischen ja gemeingefährliches Pfuibaba. Ich beschränke mich also auf a-soziale Kontakte zu a-sozialen Elementen, also zu Ihnen. Nun befürchte ich ja, dass viele meiner Kontaktpersonen, die ich mit meiner satirischen Newsletterei erreiche, ebenso wie ich in einem Alter sind, für das man die seltsame Vokabel „betagt“ verwendet. Und damit ist eigentlich „verjährt“ gemeint. Und das heißt im gesellschaftlichen Klartext: Viele meiner Leserinnen nebst Leser sind eine coronale Überflüssigkeit – so wie ich auch. Wir haben uns überlebt. Aber, offen gesagt, das entspricht nicht so richtig meinem Lebensgefühl. Ich habe mich noch lange nicht über – und auch nicht überlebt. Ohne mich würde mir schon etwas fehlen. Und Sie würden mir ebenso fehlen, wenn ich mein gelegentliches Sendungsbewusstsein per Internet verbreite. Klar, ich werde auch zukünftig dem einen oder der anderen was husten. Bei Ihnen bin ich da etwas vorsichtiger.
Un-Heil-bar, die ganze Korona
Herden-Immunität: Ein gar wunderliches Wortgebilde. Boris Johnson hatte zunächst darauf gesetzt, dass sich möglichst viele junge und mittelalte Brexit-Bürger mit dem Corona-Virus infizieren sollten, um hinterher dagegen immun zu sein. Das hieß zugleich: Sorry, Grandma and Grandpa – and goodbye! Wir sind leider immun gegen euch!
Inzwischen hat man Johnson aufgeklärt – nämlich, dass die jüngeren Engländer ihn möglicherweise gar nicht wählen würden, wenn er sich mal irgendwann zu einer allgemeinen Wahl stellen müsste, die meisten älteren hingegen sehr wohl. Also: das Ganze, kehrt marsch! Zurück zum Schutz der älteren Herde!
Die Herden-Immunität wurde ja schon längst erfolgreich praktiziert – in England, in den USA, im Osten Deutschlands, in vielen Teilen Osteuropas: Man muss die Menschen mit demokratisch geschwächtem Abwehrsystem nur lange genug mit dem Virus der Lügen und Fake News tagtäglich impfen – und irgendwann sind sie absolut immun gegen reale Fakten. So wird ihre Hirn-auslöschende Auto-Immun-Krankheit nicht in Frage gestellt. Also wählt die Herde Brexit oder Trump – oder in Thüringen AfND, lies: Alternative-Nazis-für-Deutschland. Und die auto-immun Verblödeten grölen dann massenhaft: „Wir sind die Herde!“ Am liebsten würden sie „Heil“ brüllen – und manchmal tun sie’s auch.
Und gegen diese deutschen Herden („Führer befiehl! Wir folgen!“) bin ich seit meiner Pubertät immun. Wenn bei mir etwas intakt ist – dann dies: die Herden-Immunität.
Rilke für Börsianer
Rainer Maria Rilke war nicht gerade das, was man einen Börsen-Guru nennen würde. Zum aktuellen Börsen-Untergang hat er aber ein Poem verfaßt, das ich hier für Rilke-Fans leicht verfremdet wiedergebe:
Die Aktien fallen, fallen wie von weit,
so welken an den Börsen ferne Märkte,
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Ein Virus, der den Fall von Fall zu Fall verstärkte,
kichert ins Fäustchen sich zur Zeit,
und in das Aktien-Koma fällt die Wallstreet-Herde.
Wir alle fallen – meistens auf uns rein,
herein auch darauf, dass der Wahnsinn, ewig hält.
Wir isolieren uns auf Euro-Krankenschein
und sind doch selber Teil der kranken Welt.