Israel und wir!
Oder wir nicht?
Nr. 718 – vom 24. Oktober 2023
I.
Schon wieder so ein Thema, um das ich mich am liebsten herumgedrückt hätte und das auch nicht satirisch zu behandeln ist: Israel und der nächste große Krieg, der offenbar nicht zu verhindern ist. Und, für mich noch bedenklicher als Anlass dieser Kolumne: Die Haltung oder die Nicht-Haltung oder die Ent-Haltung hierzulande, auch und gerade bei mir politisch verwandtenMenschen, also halbwegs linken und/oder halbwegs liberalen Geistern.
II.
Ich will zunächst meine eigene Haltung klären, die tatsächlich eher eine Enthaltung ist, weil ich meinte und meine, dass ich als Deutscher sehr, sehr vorsichtig sein sollte, die Politik dieses jüdischen Staates zu kritisieren. Die oft vehemente deutsche Kritik an diesem heutigen Staat Israel ist schon deshalb überflüssig, weil viele Israelis diese Kritik lautstark und massenhaft selbst übernommen haben. Dazu brauchen sie keine deutschen Verstärker als Lautsprecher. Aber es war für mich schon immer erstaunlich, wie sich besonders linkes deutsches Volk ständig über Demokratie-Defizite in diesem relativ fernen Staat erregte und den nahezu totalen an Mangel Demokratie in den Staaten ringsherum mehr oder minder stillschweigend tolerierte. Ja, auch ich habe in einigen früheren Kolumnen auf manche bedrohliche Entwicklungen hingewiesen, aber immer mit der Einschränkung, dass Israel der einzige Staat in der Region ist, wo die Demokratie zwar nicht bestens, aber immerhin doch funktioniert.
Und vielleicht darf man auch einmal vorsichtig daran erinnern, dass dieser jüdische Staat letztlich nur deshalb entstanden ist, weil wir Deutschen aus Versehen ein paar tausend europäische Juden nicht ermordet haben. Schlicht deshalb, weil sie mit viel Glück in aussereuropäische Regionen geflohen waren und damit ausserhalb unserer Reichweite. Natürlich waren dafür eigentlich niemals „wir Deutschen“ verantwortlich, sondern irgendwelche außergermanischen Aliens, sie sich „Nazis“ nannten und die plötzlich 1933 aus dem Tiefen des nationalen Hohlraums in Deutschland notgelandet waren und die „uns Deutsche“ zwangsweise dazu verführt haben, ihrem Anführer zu folgen. Meine Eltern gehörten zu den ach-so-liebend gern vom Führer Verführten. Wer meine Programme und Bücher aus fast vierzig Jahren kennt, der oder die weiß, wie oft ich öffentlich über diese deutsche Nicht-Vergangenheit nachgedacht und nachgeschrieben habe.
Ich war früher mit meiner Frau sehr gerne in Israel und auch in den palästinensischen Gebieten. Vielleicht haben wir damals die falschen Leute kennen gelernt. Es waren fast immer Menschen, die miteinander auch mitmenschlich waren, selbst wenn es zuweilen ein Gegen-Einander in Positionen gab. Manche unserer Bekannten auf beiden Seiten arbeiteten in gemeinsamen Projekten zusammen. Menschen, die nichts sehnlicher wollten als Frieden.
Noch eins: Als ich noch in relativ jungen 68er-Jahren Mit-Herausgeber der APO-Postille „Berliner Extra-Dienst“ war, hatten wir einen palestinänsischen Mitarbeiter, der in Berlin an der FU einen Lehrauftrag hatte – Hasan Dudin. Ich hatte seine Texte zu redigieren, und wir freundeten uns an bei den Diskussionen über seine Beiträge, an denen ich kritisch herumredigierte. Manchmal saß auch ein gewisser Henryk M. Broder dabei, der ebenfalls für unser obskures Blättchen schrieb. Lang, lang ist’s her!
Hasan wurde später Mitglied im Stab bei Yassir Arafat. Er starb bei einem israelischen Bombenangriff auf ein palästinensisches Flüchtlingslager. Sein Bruder Said ist einer der radikalsten Wortführer der arabischen Anti-Israel-Aktivisten in Berlin. Er hat das mir gegenüber immer wieder geleugnet, doch wenn ich einen Hass-Prediger kenne, dann ihn.
III.
Soweit also, wenn auch nur in Kürze, meine Vorgeschichte zu diesem Thema, um etwas klarer zu machen, warum ich weiterhin sehr, sehr zögerlich bin in meinen Äußerungen. Ganz klar allerdings ist meine Haltung, ohne jede zweifelnde und zweifelhafte Einschränkung, was die Massaker der Hamas bei ihrem Überfall auf Israel angeht: Diese Massenmorde, Vergewaltigungen und Verschleppungen müssen bei halbwegs noch menschlich empfindsamen Menschen einen massiven Aufschrei des Entsetzens provozieren: Ein „Nein“, ein „Nicht-schon-wieder“, ein „Niemals-wieder“.
Nun liest man allerdings in etlichen Kommentaren: Ein klares Ja zu diesem Nein, darf nicht nicht verunklart werden durch ein Aber. Dieses Aber, ich wage es trotz alledem, ist ein Einspruch, auf den ein menschlich denkender Mensch bei aller pro-israelischer Zurückhaltung nicht verzichten kann. Also sei’s drum: ABER… wie reagiert unsere publizierte und politische Öffentlichkeit eigentlich, wenn da ein amtierender israelischer Verteidigungsminister sich vor die Weltöffentlichkeit hinstellt und verkündet: „Wir kämpfen gegen Tiere und wir werden entsprechend handeln: kein Strom, kein Essen, kein Wasser, kein Gas.“
Spätestens hier hätte es er zu einem öffentlichen Aufschrei der Empörung kommen müssen ohne jedes Ja-aber. Ein Nein! Ein Nie-wieder!
IV.
„Wir kämpfen gegen Tiere…“ Ein Sound, der aus tausendjährigen reinrassigen Zeiten herüber schallt. Hier der Originalton aus einer Rede des SS-Reichsführers Heinrich Himmler vom Oktober 1943: „Wir Deutschen, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen, aber es ist ein Verbrechen gegen unser eigenes Blut, uns um sie Sorge zu machen…“
Ja, ich weiß. Ein solcher Vergleich zwischen der menschenverachtenden Wortwahl eines israelischen Verteidigungsministers und der Vernichtungs-Metapher eines massenmörderischen Judenvergasers wäre bei aller Kritik so nicht hinnehmbar. Und ich distanziere mich auch von mir selber, falls ich da missverstanden worden sein sollte. Ich meine nur, dass man solche bösartigen Wort-für Wort-Vergleiche erst gar nicht provozieren würde, wenn die Bösartigkeit nicht durch die Worte selbst provoziert worden wäre.
Ein anderer Einwand gegen das Aber, das ich hier leichtfertig zum Thema gemacht habe, könnte lauten: Wenn man eine solche unmenschlich-tierische Aussage des israelischen Verteidigungsministers vergleicht mit den verbalen Exzessen eines Heinrich Himmlers könnte die ohnehin übermächtige Israel-feindliche Propaganda ihren Nutzen daraus ziehen. Dafür gäbe es allerdings keine Begründung: Die bestialischen Massaker der Hamas an ihren jüdischen Opfern hat einmal mehr gezeigt, dass die gnadenlose Leugnung jeglicher Menschlichkeit ein allgemein gültiges terroristisches Programm ist.
Will also sagen, um allen Missverständnissen noch einmal Futter zu geben: Ein bedingungsloses Ja zum Recht Israels, sich zu verteidigen gegen den Terror. Jedoch: Ein zweifelndes Aber, wenn dieses Recht jedwedes Unrecht heiligen sollte, das nebenbei – abgesehen von allen sonstigen kolletoralen Nebenwirkungen – immer neue Generationen von Terroristen erzeugt.
V.
Ja, und noch eins – und das ist für mich im Augenblick besonders erschreckend: Da werden in Berlin, in meiner Stadt, Wohnungen und Häuser, in denen jüdische Mitbürger ihr Zuhause haben, mit Hakenkreuzen oder Davidsternen beschmiert. Menschen jüdischen Glaubens wagen sich nicht mehr auf die Straße und verbergen ihre Kippa unter Baseballkappen. Kinder trauen sich nicht mehr zur Schule. Einige unserer jüdischen Bekannten in Berlin verspüren plötzlich eine Angst, die ihre Eltern oder Großeltern einmal gefühlt haben – und zwar schon vor 1933. Einige denken ans Auswandern.
Es liegt an uns, dass wir es nicht zulassen, dass unsere Nachbarn ängstlich woanders Zuflucht suchen müssen, weil in Deutschland mal wieder der Hass gegen jüdische Mitbürger lebensbedrohlich wird, egal ob der Hass von deutsch- oder arabischstämmigen Antisemiten verbreitet wird. Zugegeben ein etwas hilfloser Appell. An mich, an Sie, an uns.
Es grüßt Sie mit etlichen Zweifeln, aber noch längst nicht verzweifelt
Ihr Martin Buchholz
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Und noch etwas: Ich bin am 9. November ins Hamburger „Lustspielhaus“ zu einer Lesung „aus meinen gestammelten Werken“ eingeladen. Reservierung über: 040 / 555 6 555 6. Oder: https://www.almahoppe.de/Reservierungsformular?date=2023-11-09 00:00:00Z
Und am 10. November, am darauf folgenden Sonnabend, habe ich noch eine Einladung, diesmal von der SPD-Linken in Berlin-Zehlendorf. Die Lesung findet im meinem Lieblingskino, dem „Bali“ am S-Bahnhof Zehlendorf, statt. Eintritt: 18 €. Telefon: 030 8114678