Deutschland schwarz!
Deutschland blau!
Nr. 726 – vom 12. Juni 2024
I.
„Zweigeteilt – niemals“. Das war ein dogmatisches Glaubensbekenntnis in der alten Bundesrepublik. Auf x-tausenden von Plakaten wurden die Bürger zum wahren Glauben aufgefordert. Ursprünglich hieß es sogar noch plakativ: „Dreigeteilt -niemals!“, als die einst staatlich finanzierten Reichsbürger vom „Kuratorium Unteilbares Deutschland“ Ostpreußen nebst Schlesien mit einer Art Rolling-Home wieder heim nach Ur-Germanien holen wollten. Erst nach der 68er-Polit-Wende wurden diese Poster geschreddert. Aber vielleicht druckt die AfD diese Poster demnächst wieder nach. Schließlich hat ihre Polit-Wende erst begonnen.
Nun sind wir ja, so habe ich es zumindest gehört, seit bald 35 Jahren nicht mehr zweigeteilt, sondern sowas von vereint wie es vereinter nicht geht. So wird es uns in rituellen politischen Bla-Bla-Blähungen immer wieder versichert.
Zweigeteilt niemals? Mein Fragezeichen ist heftig. Nach der Europa-Wahl am letzten Sonntag sehe ich überall in den Medien eine politische Landkarte von diesem angeblich so vereinten Land, wo zwei Drittel schwarz sind und ein Drittel tiefblau. (Und nie in meinem politischen Leben hätte ich jemals geglaubt, dass ich eines Tages schon froh sein würde, wenn meine Irgendwie-Mitbürger nur die CDU/CSU wählen und nicht die AfD.)
II.
Meine naive Hoffnung, dass die EINZIGE UND WAHRE SAHRA, in ihrer stalinesken Personenkultigkeit die AfD-Stimmkundschaft um ein paar Stimmen schmälern könnte, hat sich nicht bewahrheitet. Sie sahnte viel mehr die Stimmen jener früheren Linkswähler ab, die gedanklich schon längst zur AfD abgewandert waren und die auch gerne einstimmen würden in den rechten Massen-Gesang der neuen deutschen Nationalhymne: „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen!“. (In der französischen Übersetzung heißt das, wie ich gelernt habe, „L’amour toujours“.)
Immerhin gab es bei einigen noch eine gewisse Schamgrenze, was das Kreuzemachen für die AfD betraf. Aber nun ist die Scham vorbei – dank Sahra und ihrer national-bolschewistischen Gefolgschaft kann man nun rechts und links zugleich wählen. Nur ein Beispiel: Im Berliner Stadtbezirk Lichtenberg, früher Amtssitz der Stasi-Zentrale und noch heute Wohnsitz vieler einstiger Staatssicherer, kam die AfD auf 17,5 Prozent, die BSW folgte dichtauf mit 15,2 Prozent. Der Links-Partei blieben zehn Prozent, mit einem Minus von 12,6.
Nun ist das Minus der Linken nicht nur der BSW geschuldet. In den letzten Jahren bestand der Unterschied zwischen der Linkspartei und einem Kanickelzüchter-Verein eigentlich nur darin, dass man bei der Linken keine Karnickel züchtete, sondern sich mehr der Inzucht von Sektierern gewidmet hat. Und das kann man nicht nur Sahra Wagenknecht anlasten.
III.
Und die Grünen? Ich habe schon früher in meinen Kolumnen darüber gelästert, dass die Grünen, wenn sie erst mal irgendwo an der Regierung sind, einen seltsamen Hang zu einem märchenhaften, amphibischen Oralverkehr haben. Letztlich, so scheint es, würden sie jede Kröte schlucken, auch wenn das gegen jede Überzeugung geht, die sie irgendwann mal gehabt haben könnten (und die sich höchstens bei einem kurzen, nostalgischen Schluckauf peinlicherweise meldet). Und in dieser jetzigen Regierung sind die Grünen ständig am Kröten-Verschlucken, wenn ein Froschkönig namens Lindner nur laut genug quaaakt.
Dazu kommt noch ein typisches Ampel-Problem, das jeder vom Straßenverkehr her kennt: Da blinkt es an der Kreuzung erst gelb und anschließend wartet man lange bei Rot. Und bei Grün soll es dann eigentlich zügig vorwärts gehen. Doch für abweichlerische Verkehrsteilnehmer gibt es auf der rechten Spur oft ein Schild an der Ampel mit einem grünen Pfeil, damit man schon vorher abbiegen kann. Da weiß man ohne weitere Erklärung, wo es lang geht. Nach rechts. Und viel zu viele Grüne sind inzwischen nach rechts abgebogen – auch wenn sie dann meist behaupten, dass sie nur notgedrungen einen Umweg nehmen müssten, um später wieder auf die richtige Spur zurückzukommen. Wen wundert’s, wenn besonders junge Wähler bei so einer permanenten Ver-Biegung nicht mitmachen wollen.
IV.
Dennoch: Ich würde in der derzeitigen politischen Situation sehr, sehr vorsichtig sein, die Grünen und auch die SPD schadenfroh noch kleiner zu reden, als sie es ohnehin schon sind. Manchmal habe ich fast Mitleid mit ihnen. Sie mussten sich schließlich bei ihrem unflotten Dreier auf eine permanente Opposition im Regierungs-Trio einlassen. Wann immer sie bei sozialen Fragen oder beim Umweltschutz etwas mehr Gas geben wollen, tritt ein mitregierender Gelbling voll auf die Schuldenbremse. An ihrer zwanghaften Gelbsucht wird diese Regierung möglicherweise irgendwann zugrunde gehen.
Nur: Wie sollte sie aussehen, die Alternative für Deutschland (ich gestatte mir ausnahmsweise mal eine gewisse Doppeldeutigkeit). Wenn die rotgelbgrüne Regierung wirklich ausgemerzt werden würde, kriegen wir es mit einem Friedrich zu tun, von dem schon der Struwwelpeter zu berichten wusste: „Der Friederich, der Friederich, das ist ein arger Wüterich…“ Für Wut- und Wüterichbürger mag das wie ein Versprechen klingen. Für mich (und wahrscheinlich auch für Sie, wie ich zu vermuten wage) eher wie eine Drohung.
V.
Und mit dieser Bedenklichkeit schließe ich mal wieder meine Kolumne. Das letzte Wort hat diesmal Bertolt Brecht. Ein Zitat, das er wohl bei Reich-Ranicki abgekupfert hat: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Bis zu einem baldigen Aufwiederlesen grüßt Sie herzlich und hirnlich
Ihr Martin Buchholz
PS.
Nächste Auftrittstermine:
Am Donnerstag, 5. September, im Hamburger „Lustspielhaus“. Tel. 040 555 6 555 6
Am Freitag, 27. September, in der Dresdener „Herkuleskeule“, Tel. 0351 49255
Am Sonntag, 27. Oktober, auf Mallorca im „C'an Gats“, dem alten Stadtpalast von Llucmajor, Tel. 0171 3354312
Und am 1. sowie 8. Dezember bei den „Wühlmäusen“ in Berlin. Tel. 030 30 67 30 11
PPS.
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