Bekenntnisse

Christian und sein fester Glaube

Nr. 733 vom 15. Dezember 2024

I.

Ist die Weihnachtsgeschichte eigentlich ein Narrativ? Von der Weihnachtgeschichte hört man ja immer mal wieder etwas, allerdings nur zu einer bestimmten Zeit des Jahres. Das neudeutsche „Narrativ“ ist hingegen zu allen Jahreszeiten pausenlos im Laber-Einsatz. Zum Beispiel vernahm ich neulich die Aussage eines FDP-Mannes, dass Christian Lindner „im festen Glauben am Narrativ der Schuldenbremse“ festhalte. Mal abgesehen davon, dass es der Sinn einer Bremse ist, etwas festzuhalten und zwar krampfhaft, wird mit diesem Statement deutlich, dass zu einem Narrativ ein fester Glaube gehört. Allerdings waren nicht alle so glaubensstark wie der FDP-Messias, was zwangsläufig zum Bruch mit den Ungläubigen in der restlichen Fraktions-Gemeinde geführt hat.

 

Nun ist der Christian im Gegensatz zu seinem Namensgeber Christus kein himmlisches Kind mit alleweil reinlichen Windeln. Jedoch waren seine Ausreden zum Ausstieg aus der Koalition mehr als windelweich und stellten sich schnell als Beschiss heraus. Ein beschissenes Narrativ, das sich wohl eher an seine neoliberalen Betbrüder und Betschwestern richten sollte. Diese verschworene Gemeinschaft durfte nicht wankend werden im Glauben, dass er der alleinseligmachende Erlöser sei. Plagte doch diese Sektengefolgschaft das ganze Jahr über die Sorge, dass sich an ihren reichgefüllten Krippen irgendwelche sozialdemokratischen Ochsen und grüne Esel gütlich tun könnten. 

 

II.

Zwar kenne ich mich als satirischer Schreiber mit narr-aktiven Erzählungen etwas aus, doch weiß ich mit Narrativen definitiv nichts anzufangen. Mit der Definition half mir dann Wikipedia aus: „Als Narrativ wird seit den 1990er Jahren eine sinnstiftende Erzählung bezeichnet, die Einfluss auf die Art hat, wie die Umwelt wahrgenommen wird.“ Und weiter lese ich: Ein bekanntes Beispiel sei „der Mythos ‚Vom Tellerwäscher zum Millionär‘“. Doch das ist ein Mythos, der sich mittlerweile ausmythisiert hat, weil die Tellerwäscher (meist -innen) durch Geschirrspülmaschinen ersetzt wurden – im Gegensatz zu etlichen Millionären, die immer noch als Reinigungskräfte im Einsatz sind, allerdings eher bei der Geldwäsche.

 

Da nun das Narrativ angeblich eine „sinnstiftende Erzählung“ ist, wäre ich als Narrativist eine absolute Fehlbestzung. Denn meine Erzählungen wollen gar nicht sinnstiftend sein, sondern vielmehr dafür sorgen, dass so mancher zweifelhafte Sinn endlich stiften geht. 

 

III.

Dazu fällt mir ein kurzes Poem ein aus meinem leider vergriffenen Gedichtband ein. Der Titel „Gefunden“. Es bezieht sich auf Goethes gleich betiteltes Gedicht, das mit den Worten beginnt:

 

„Ich ging im Walde 

So für mich hin, 

Und nichts zu suchen, 

Das war mein Sinn.“

 

Und hier nun meine Version dieses Waldspaziergangs:

 

Das Nichts zu suchen, geht ein Sinn

im deutschen Wald so vor sich hin.

Ein Philosoph springt aus dem Tann:

„Ergib dich, Sinn! Jetzt bist du dran!

Nach dir sucht’ ich mein ganzes Leben.“

Seufzend hat sich der Sinn ergeben.

 

IV.

Doch um auf meine Unfähigkeit zum Narrativen zurückzukommen: Immerhin wird mir, was meine Erzählerei angeht, von etlichen Leserinnen und Lesern meines neuen Buches „Männer, Macht und Mythen – Von Erschöpfern und Erschöpften“ sehr freundlich per Mail bescheinigt, dass es spannend und witzig sei, wie ich ganz alte Geschichten aus den Mythen ganz anders erzähle. Eine Leserin schreibt: „Besonders Ihren Schöpfungsbericht von der biblischen Eva-kuierung einer Rippe habe ich lachend genossen. Das sollte jeder heutige Adam mal lesen. Er könnte einiges über sich lernen.“

 

Übrigens: Falls Sie noch zu Weihnachten ein von mir signiertes Buch verschenken wollen, sollten Sie mir das ganz schnell mitteilen unter kontakt@martin-buchholz.de. In der nächsten Woche verschicken wir die letzte Lieferung, damit die Bücher noch rechtzeitig ankommen. Und damit hat sich meine heutige nicht-narrative Botschaft erledigt. 

 

Es grüßt Sie herzlich und hirnlich,

 

Ihr Martin Buchholz

 

 

PS. Nur zur Erinnerung: Ein Buch kostet 20 € plus 3 € versandkosten. Bei Mehrfachbestellungen entfallen die Versandkosten. Eine ausführliche Leseprobe gibt’s unter: https://www.book2look.de/book/S8JUviwY7I